Sie fürchten sich vor Preissteigerungen, auch die Schließung eines Atomkraftwerks ist unpopulär.

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"Lernen Sie Bulgarisch", scherzt der Händler auf dem Slawekow-Buchmarkt in Sofia und hält dem Kunden eines der vielen bunten Geschichtsbücher unter die Nase: "Ab 1. Jänner ist Bulgarisch offizielle Amtssprache der EU!" Mit einer seltsamen Mischung aus Stolz und Skepsis sind die Bulgaren in der Nacht auf Montag in die Union gerutscht. Zehntausende kamen dieses Mal zur Silvesterfeier vor der Nationalgalerie in Sofia. Battenberg heißt der Platz nun, wo einmal im demokratischen Überschwang das Mausoleum des ersten kommunistischen Staatschefs Georgi Dimitrow gesprengt worden war. Aleksander Battenberg aber war ein deutscher Adliger, den Europas Großmächte Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten König Bulgariens wählen ließen.

Sergej Stanischew, der heutige Regierungschef, pickt kurz nach Mitternacht auf der Tribüne dieses Battenberg-Platzes also Bulgarien auf eine kolossale Europakarte, sieht sich, während er zurück ans Mikrofon geht, unsicher um, ob sein Land auch wirklich auf der Karte hält, und erklärt dann: "Heute ist ein Traum wahr geworden, der Traum von Generationen von Bulgaren, die immer mit den freien Völkern Europas in Frieden und Wohlstand zusammenleben wollten."

Das mit dem Wohlstand ist dabei so eine Sache. Im nunmehr ärmsten Land der EU, wo Pensionisten 50 Euro bekommen und Aushilfen in Geschäften für einen Stundenlohn von 50 Cent beschäftigt werden können, weckt der EU-Beitritt noch mehr Furcht vor massiven Preissteigerungen. "Ich bin überhaupt nicht glücklich über diesen Beitritt", sagt etwa Elena Gresewa, eine junge Augenärztin, die vergleichsweise gut verdient. Sie erinnere sich noch an einen griechischen Studienkollegen, meint die 30-jährige Frau. "Die haben alle über den Euro geklagt. Der wird in Bulgarien nicht schon morgen eingeführt, aber er wird kommen." Und die EU, sagt die Ärztin mit Verweis auf den Irakkrieg, erfülle auch nicht das Versprechen einer friedlichen Zukunft. "Wir wollen keine Kriege, wir wollen ein Sozial- und Gesundheitssystem, das funktioniert."

Kniefall vor Brüssel

Am Neujahrstag trifft die Karawane der EU-Politiker aus Rumänien kommend ein, unter ihnen der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, seine Kollegin Ursula Plassnik, der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn. Die EU-Flagge wird mit militärischem Zeremoniell bei der Alexander-Newski-Kathedrale hochgezogen. Georgi Parwanow, der Staatschef, feiert den "Tag der historischen Gerechtigkeit" für die Bulgaren. Der Schritt in die Union begann allerdings mit einem Kniefall vor Brüssel. Wenige Stunden vor dem Beitritt wurden die letzten beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Kosloduj abgeschaltet. Mit bitterer Miene zeigten Reporter im Kontrollzentrum die fallenden Leistungskurven. Für die große Lichtshow auf dem Battenberg-Platz mussten jedenfalls eigens Generatoren herangeschafft werden. (Markus Bernath aus Sofia/DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2007)