Seit vier Jahren nimmt sich Herr Walter Urlaub, um zu arbeiten. Im Feuerwerksgeschäft seines Bekannten

Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Nur zwei Wochen im Jahr gehen saisonbedingt die Rollbalken in dem kleinen Geschäft in Wien-Favoriten hoch. Der Besitzer kann davon trotzdem leben

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Wien - 50 Wochen im Jahr steht das kleine Häuschen verlassen neben dem Damm der Südbahn. Von den heruntergelassenen Rollbalken blättert die Farbe ab, die verschlossenen Scherengitter rosten langsam, der Verputz bekommt Risse. Im steten Verkehrsstrom hier am Matzleinsdorfer Platz in Wien-Favoriten, wo Triester Straße, Gürtel und Gudrunstraße ineinander münden, dämmert der bunkerähnliche Bau vor sich hin. Bis kurz vor Weihnachten, wenn sich für zwei Wochen zeigt, dass das "Feuerwerk"-Schild über dem Eingang kein Relikt ist.

"Hast du Zündschnüre?", fragen die drei Jugendlichen den Verkäufer, Herrn Walter. "Bist du schon 18?", lautet die Gegenfrage. Sind sie nicht. Und so müssen die Freunde nach kurzem Diskurs über die Bestimmungen des Pyrotechnikgesetzes den Verkaufsraum schnurlos verlassen.

Arbeitsurlaub

Seit dem 15. Dezember ist der 59-Jährige von 9 bis 19 Uhr in dem wenige Quadratmeter großen, braun verfliesten, Geschäft. Auf selbst gemachten Kartonsternen stehen die Preise der Sprengkörper, das teuerste Set kommt auf 39 Euro. Eigentlich ist Herr Walter ja im Elektrogroßhandel tätig, aber das Feuerwerksgeschäft gehört einem Bekannten, erzählt er. Zum vierten Mal arbeitet er heuer hier und hat sich sogar Urlaub dafür genommen. Wann heuer Dienstschluss ist, weiß er noch nicht genau. "Wir haben auch am 31. offen, bis sechs oder sieben Uhr, je nachdem wie lange die Leute kommen."

Sonntagsöffnung legal

Auf die letzten beiden Tage des Jahres setzt er die größte Umsatzhoffnung. Denn der Konkurrenzkampf macht selbst vor der Welt des Schwarzpulvers nicht halt. "Den Obi da drüben spürt man schon", deutet Herr Walter durch das Fenster, vorbei an einer Raketenpackung Marke "New York Stars" in Richtung Triester Straße auf die Filiale der Heimwerkerkette. Die legale Sonntagsöffnung des kleinen Fachhändlers soll da den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen.

"Früher waren wir Pyrotechniker eine eingeschworene Gemeinschaft, fast wie die Apotheker", erinnert sich Klaus Feuerstein, seit rund 40 Jahren Besitzer des Ladens. "Da gab es strenge Lagerverordnungen, die auch überprüft worden sind. Aber seitdem sogar Supermärkte Raketen verkaufen dürfen, haben solche Geschäfte eigentlich keine Überlebenschance mehr", prophezeit der 61-Jährige. Noch kann der Wiener von Import und Handel mit Knallern und Raketen aus Deutschland und China aber gut leben, wie er einräumt.

Zu müde zum Schießen

Zu diesem Lebensunterhalt trägt auch der ältere Hutträger bei, der sich gerade von Herrn Walter beraten lässt. "Und fliegen die auch hoch", will er über ein 15er-Sortiment Raketen wissen. "Doch, doch, die sehen die anderen schon", versichert Herr Walter. Auch der Verkauf eines Bodenfeuerwerks kann er noch in seine grüne Liste eintragen. Er selber macht sich nicht so viel aus den Knallkörpern. "Wir kommen nicht viel zum Schießen, weil ich zu müde bin." Außerdem fürchte sich der Hund vor dem Lärm.

Er selbst hat keine Angst vor den mit Schwarzpulver gefüllten Plastik- und Kartonteilen. Auch nicht nach dem verheerenden Brand in dem Einkaufszentrum an der tschechisch-österreichischen Grenze, der durch eine Feuerwerksexplosion ausgelöst worden ist. "Die Sachen hier sind alle nicht leicht entzündbar. Selbst wenn die Stromleitung Funken schlagen sollte, man braucht eine Flamme, um das Material zum Explodieren zu bringen." Während des Rests des Jahres bestehe kaum Gefahr. Denn praktisch der gesamte Bestand gehe erfahrungsgemäß über die Theke und wird sich in Staub und Rauch auflösen.

Womit Herr Walter am letzten Abend des Jahres das kleine Häuschen wieder absperren und gefahrlos für 50 Wochen verlassen kann. (Michael Möseneder, DER STANDARD Printausgabe, 30./31.12.2006/1.1.2007)