"Eigentlich ist ja auch gerade in Österreich die verbiesterte Jagd der Behörden auf alle angeblichen Nicht-Liebes-Ehen besonders kurios", meint der Sozial- und Erziehungs­wissenschafter Dietmar Larcher - vor allem wenn man an das "Tu felix Austria nube" von Maximilian dem I. denkt.

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Die von Larcher zusammen mit dem Verein Fibel durchgeführte Studie "Liebe im Zeitalter der Globalisierung" erschien 2000 im Drava Verlag.
In den letzten Jahren erschienen weiters:
- Fremdgehen. Fallgeschichten zum Heimatbegriff. Unter Mitarbeit von Wolfgang Schautzer, Marion Thuswald, Ute Twrdy. Klagenfurt/Celovec: Drava und Meran/Merano: Alpha&Beta 2005.
sowie
- Interkulturelle Neugier. Erkundungen im weiten Feld der Alltagskulturen. Klagenfurt/Celovec: Drava und Merano/Meran: Alpha&Beta 2006.

Das Zeitalter der Globalisierung sei zunehmend auch eines des Neo-Nationalismus - was sich am Umgang mit binationalen Paaren zeigen lasse, so der Erziehungswissenschafter Dietmar Larcher im derStandard.at- Interview mit Heidi Weinhäupl. An diesen Partnerschaften zeige sich aber auch, dass kulturelle Auseinandersetzung keineswegs nach dem Muster von Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" funktioniert. Viel mehr als um eine fixe "Kultur" geht es um Geschlechterrollen, Diskriminierung, Miteinander-Reden und Konzepte von Liebe.

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derStandard.at: In Ihrer Studie "Liebe im Zeitalter der Globalisierung" sehen Sie bikulturelle Paare als Vorreiter einer postmodernen Beziehungskultur - warum?

Dietmar Larcher: Bikulturelle Paare müssen über all das hinauswachsen, was die meisten sich in der Erziehung und der Sozialisation als kulturelle Selbstverständlichkeiten angeeignet haben und was ihnen wie eine zweite Natur erscheint. Sie müssen einander zu verstehen geben, dass man in einer solchen Beziehung ohne Angst verschieden sein kann. Das braucht viel Geduld und Einfühlungsvermögen – vor allem in Konfliktsituationen. Dafür sind sie noch mehr als Paare ähnlicher Herkunft auf Metakommunikation angewiesen, also auf das Reden über das Reden. Das aber ist etwas, das wir in diesen neuen, mobilen, bewegten und interkulturellen Zeit alle lernen müssen.

derStandard.at: Und wie klappt das zumeist?

Larcher: Unsere Studie hat gezeigt, dass die größte Schwäche der interkulturellen Partnerschaften zugleich ihre größte Stärke ist: nämlich, dass die beiden Partner sich nicht darauf verlassen können, sich wortlos zu verstehen. Bikulturellen Paaren wird rascher als monokulturellen bewusst, dass unterschiedliche Einstellungen, Haltungen und Erwartungen bestehen. Sie wissen, dass sie - trotz der Liebe, die sie füreinander spüren - füreinander ein Rätsel sind und bleiben werden.

Daneben aber harren dann die ganz konkreten Aufgaben des Alltags dringend der Lösung: Wer geht einkaufen? Wer geht mit dem kranken Kind zum Arzt? Wer verhandelt mit der Bank um einen Kredit für die neue Wohnung? Wer kocht das Abendessen für die Familie? Wer erklärt den Behörden, dass die Lebensgemeinschaft der beiden sehr wohl die Kriterien für aufenthaltsrechtliche Ansprüche erfüllt? Und, und, und.

derStandard.at: Welche "Fremdheit" führt denn am öftesten zu Konflikten – die ominöse und allseits bemühte Kultur, die Religion oder eher das soziale Geschlecht und die Klasse?

Larcher: In erster Linie ist es wohl das soziale Geschlecht und dann die Klasse. Wie man die Frauenrolle und die Männerrolle richtig spielen muss, dafür hat jede Kultur relativ genaue Vorschriften. Europäische Frauen haben sich oft von patriarchalen Vorstellungen befreit, sie verlangen, dass der Mann im Haushalt und bei der Kindererziehung mithilft. Das zu akzeptieren fällt manchen Männern aus patriarchalen Gesellschaften schwer, auch wenn sie guten Willens sind.

derStandard.at: Das würde erklären, warum Ehen österreichischer Frauen mit Männern aus Drittstaaten öfter geschieden werden (siehe Statistik) als Ehen österreichischer Männer mit Frauen aus Drittstaaten.

Larcher: Das – und die Situation der ausländischen EhepartnerInnen hier in Österreich, vor allem wenn sie in einer rechtlich sehr ungesicherten Situation leben und im Alltag diskriminiert werden. Der jährliche Rassismus-Report von ZARA beschreibt ja diese ganz alltäglichen Nadelstiche gegen Menschen mit anderer Hautfarbe und anderer kultureller Herkunft. Rechtsunsicherheit und Diskriminierung sind schwierig zu verdauen. Da wünscht man sich dann eine Partnerschaft als Schonraum gegen ein feindliches Draußen. Doch nun sind manche Männer auch zu Hause mit Problemen konfrontiert, verstehen das Verhalten ihrer Partnerin nicht oder fassen es als Provokation auf. Da fehlt dann oft die Energie, um die Konflikte lösungsorientiert zu bearbeiten.

derStandard.at: Doch bei Ehen mit ausländischen Frauen ist die Scheidungsrate gering.

Larcher: Scheidung ist vor allem für österreichische Frauen der Ausweg aus einer Partnerschaft, in der die Konflikte nicht mehr aufgearbeitet werden können. Wenn jedoch österreichische Männer mit Frauen aus Drittstaaten verheiratet sind, dann stellt sich der komplementäre Effekt ein: Frauen erfahren eher weniger Abhängigkeit als in ihrer Herkunftskultur. Das führt dazu, dass die Partnerschaft für beide Teile etwas weniger unsymmetrisch ist, dass im Konfliktfall die Scheidung nicht so schnell als einzig mögliche Lösung erscheint.

derStandard.at: Sie betonen insbesondere auch die einschränkenden Strukturen für binationale Partnerschaften – welche sind das und wie wirken sie?

Larcher: Vereinfacht gesagt: Wer in einer binationalen Ehe lebt, dem wird die Loyalitätsvermutung entzogen. Er oder sie steht unter Pauschalverdacht. Das gilt nicht nur für Angehörige aus Drittstaaten, sondern auch für Österreicher. Jedem wird unterstellt, dass er eine Scheinehe eingegangen sein könnte. Mittlerweile ist es so, dass die neue Rechtslage, das verschärfte Fremdenrecht, ein bikulturelles oder binationales Paar in die Situation des Josef K. in Kafkas Prozess bringt. Das Damoklesschwert von Schubhaft und Abschiebung hängt dauernd über den Köpfen der Paare. Hinzu kommt, dass ein intolerantes gesellschaftliches Klima entstanden ist.

derStandard.at: Warum?

Larcher: Die Menschen spüren die katastrophalen Folgen des ungerechten Weltwirtschafts-Systems: Prekäre Arbeitsverhältnisse im Sinne von "Working poor", das soziale Netz wird brüchig – und im Sinne einer irrationale Strategie wird das als die Folge einer gigantischen kulturellen Bedrohung durch die Herkunftskulturen der MigrantInnen dargestellt.

Im politischen Diskurs werden Unterschiede als "natürlich" dargestellt und ideologisiert – und vor allem seit der Kommunismus als Feindbild weggefallen ist, werden kulturelle Unterschiede aufgeblasen zu unüberbrückbaren Abgründen, düster drohenden Gefahren, vor denen wir, die ehrlichen Bürger, beschützt werden müssen. Und wer dann den "Feind" zum Partner nimmt, der unterhöhlt die wertvolle eigene Kultur.

derStandard.at: Wenn beispielsweise von der Migrantenflut gesprochen wird - stecken da nicht auch reale Ängste dahinter?

Larcher: Diese Bedrohungsszenarien im medialen und politischen Diskurs thematisieren weniger Realangst, sondern viel eher neurotische Angst: Überschwemmungsphantasien, Kastrationsängste, Angst vor Vernichtung und Tod durch die Migrationsströme der Gegenwart. Stimmenmaximierung durch Anheizen der kollektiven Neurose namens Fremdenangst ist zum Erfolgsrezept der politischen Rechten geworden. Allerdings nicht nur in Österreich, sondern auch in traditionell sehr viel liberaleren und demokratieerprobteren Ländern wie etwa Holland oder Dänemark. Als Heilsrezept wird überall eine kollektive Regression angeboten: der Neonationalismus.

derStandard.at: Gleichzeitig nimmt die Zahl der binationalen Ehen rasant zu, während die Eheschließungen in Österreich weiter zurückgehen. Was sind die Gründe dafür?

Larcher: Das hat viele Ursachen – Migration, Tourismus, aber auch die neue Mobilität der ArbeitnehmerInnen, die zunehmend für einige Jahre außerhalb Österreichs tätig sind. Gestiegen ist auch die Zahl der so genannten Scheinehen, die gerade durch die verschärften Fremdengesetze für viele zu einem letzten Schlupfloch geworden sind, durch das sie - fälschlicherweise - glauben, leichter eine Aufenthaltsbewilligung in Österreich zu erhalten. Und etliche MigrantInnen der Zweiten Generation, die bereits in Österreich geboren wurden und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, heiraten PartnerInnen aus dem Herkunftsland ihrer Eltern.

derStandard.at: Welche Rolle spielen die jeweiligen Bilder und Stereotype vom "Anderen" in Österreich und in den Herkunftsländern?

Larcher: In den Interviews unserer Studie kam das nicht so raus - doch vor allem am Anfang einer Beziehung dürften solche Bilder eine starke Rolle spielen: Einerseits haben ÖsterreicherInnen bestimmte Vorstellungen - andererseits existieren Klischees auch in anderen Kulturen. In einer Partnerschaft müssen dann aber die jeweiligen Stereotype realitätsnäheren Wahrnehmungen weichen. Das kann zu Krisen führen, insbesondere dann, wenn man entdeckt, dass man sich in sein Stereotyp verliebt hat, dass jedoch das wunderbare Stereotyp, das man geheiratet hat, in Wirklichkeit ein Mensch mit einer einmaligen und unverwechselbaren Identität ist, mit guten und schlechten Eigenschaften, mit Stärken und Schwächen. Das gilt aber nicht nur für bikulturelle Partnerschaften.

derStandard.at Haben sich die Bilder "vom Anderen" im Zuge der Globalisierung verändert?

Larcher: Ohne Zweifel. Im Zuge der Verwandlung der lebendigen Welt in tote Waren, die tauschbar sind und mit denen Handel getrieben werden kann, haben sich sowohl die Bilder vom jeweils anderen als auch von Mann-Frau-Beziehungen gewandelt. Medial vermittelte Bilder aus dem Zentrum der globalisierten Welt sind heute im hintersten Winkel Madagaskars genauso wie im Hochland von Guatemala zu konsumieren. In Indonesien beispielsweise, wo der Kuss nicht zum Liebesspiel gehört, hat das Fernsehen mit der Übertragung von Hollywood-Liebesfilmen die junge Generation gelehrt, dass das Küssen im Weltzentrums Bestandteil des Liebesspiels ist. Doch eins zu eins übernommen wurde es nicht: Alle wissen, wie man küsst, alle haben das technische Know How, aber es scheint - noch - nicht wirklich in die erotischen Rituale der IndonesierInnen Eingang gefunden zu haben.

Die kulturelle Globalisierung hat - das habe ich in China, in Indonesien und erstaunlicherweise auch im islamischen Gottesstaat Iran besonders deutlich beobachten können - der Kulturindustrie ein globales Netzwerk geschaffen. Es ist aber keineswegs so, dass der US-amerikanische Kulturimperialismus einfach übernommen wird. Was in Wirklichkeit passiert, sind Verschmelzungen, Überlagerungen, Aneignungen, die Hybridität der Identitäten, die Kreolisierung der Kultur.

derStandard.at: Inwieweit ist denn die Liebe selbst ein kulturelles Konstrukt?

Larcher: Die romantische Liebe ist durch und durch ein kulturelles Konstrukt, dessen historische Genese bis an den Beginn des bürgerlichen Zeitalters zurückverfolgt werden kann. Eva Illouz zeigte beispielsweise in "Der Konsum der Romantik", dass das romantische Liebesideal – einst als Gegensatz des Kapitalismus gedacht – längst zum Kapitalismus gehört. Heute ist die kollektive Utopie der Liebe der bevorzugte Ort des kapitalistischen Konsums. Aber gerade bikulturelle Paare haben oft Schwierigkeiten mit romantischen Liebesinszenierungen von Valentinstag bis Weihnachtsgeschenk – denn da sind die Vorstellungen oft unterschiedlich.

Und eigentlich ist ja auch gerade in Österreich die verbiesterte Jagd der Behörden auf alle angeblichen Nicht-Liebes-Ehen besonders kurios. Ich zitiere Maximilian den I.: "Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Namque Mars aliis dat tibi regna Venus - Du, glückliches Österreich, heirate. Denn die Reiche, die andere von Mars erhalten, erhältst du von Venus." Er hat gleich zweimal geheiratet. Heute würde er sich vermutlich strafbar machen. (derStandard.at, 2.1.2007)