Michael Schottenberg und das Problem der Fluktuation bei 1000 Sitzen: Er wirbt um "Laufkunden", die er als Stammpublikum zu gewinnen hofft.

Foto: Standard/Matthias Cremer
Nach Übertauchen einer ernsten Budgetkrise hofft Michael Schottenberg, in seinem zweiten Direktionsjahr am Wiener Volkstheater neue, jüngere Zuschauerschichten anzusprechen. Im Gespräch mit Ronald Pohl macht er die Unterbudgetierung als Hauptproblem deutlich - und plädiert für die leichte Muse.

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DER STANDARD: Nach der Berg-und-Tal-Fahrt der Auslastungszahlen in der Vorsaison: Wie sieht der Zuspruch zu Ihrem diesjährigen Programm zwischenzeitlich aus?

Michael Schottenberg: Die Auslastung ist jeden Tag anders. Es gibt Vorstellungen, die geradezu explodieren - und solche, die weniger gut laufen. Das ist normal. Es sind täglich zwischen 600 und 700 Menschen bei uns.

Standard: Was bei rund 1000 Plätzen einer 60- bis 70- prozentigen Auslastung entspricht.

Schottenberg: Das ist eine Tatsache. Die Auslastung ist allerdings ein relatives Argument, weil manchmal 500 Menschen mehr Geld bringen als 900. In dieser Zahl sind ja auch Abos und Stadtabonnements drinnen. Deshalb ist das, was an der Kasse hereinkommt, fast noch wesentlicher. Dabei spreche ich nur vom Haupthaus; das "Volkstheater in den Bezirken" boomt sowieso, und alle Nebenveranstaltungen auch.

Was uns total freut: Wir verjüngen unser Publikum sukzessive. Wer so alt ist wie ich, und ein paar Jahre darüber, wird durch unsere radikaleren Projekte - ob sie jetzt gelingen oder nicht - geistig verjüngt. Wer heute hereinkommt, um "Fun" und Clubbings zu erleben, der bildet das Publikum von morgen, diese Menschen bekommen das Volkstheater zuerst einmal "sinnlich" definiert - und wachsen zu Zuschauern heran. Sie haben die Wahl zwischen fünf Kategorien, die den fünf Zacken unseres pulsierenden Sterns entsprechen: der Diskurs, die Literatur mit neuen Stücken, die bildende Kunst, die Musik und das Kabarett. Das bietet eigentlich kein anderes Theater in Wien.

Standard: Sie betonen mit Blick auf die laufende Spielzeit die "Sinnlichkeit" der ausgewählten Stoffe - als ob es auf dem Theater eine strikte Trennung in "graue" Theorie und "sinnliche Praxis" gäbe! Wie kommen Sie darauf, das Vergnügen vom Anspruch, der an einem Haus wie dem Ihren gestellt wird, abzutrennen?

Schottenberg: Wer mit ästhetischen Diskursen nichts am Hut hat, der will sich, pardon, unterhalten! Das ist ein legitimes Grundbedürfnis, das auch von einem Stück wie Gombrowicz' Yvonne befriedigt wird - relativ, denn man muss ja wissen, worüber man lacht. Manches, wie Indien, ist ein Grenzgang zwischen Theater und Kabarett.

Standard: Sie kneten den Inhalt in die Amüsiermasse ein? In solchen Zeiten leben wir?

Schottenberg: In einem Theater mit 1000 Sitzplätzen, davon pro Abend 180 im Abo, muss ich schon auch daran denken. Nicht ausschließlich. Es ist ja nichts Schlimmes an Cabaret oder an einem Stück wie Der nackte Wahnsinn. Im Gegenteil: Die Menschen intelligent zum Lachen zu bringen ist eine hohe Kunst. Man muss einfach beide Ansprüche berücksichtigen. Das sinnliche, lustvolle Theater war in unserer ersten Spielzeit unterrepräsentiert.

Standard: Wurden mit der Gewährung einer Entschuldungssumme von 450.000 Euro durch die Gemeinde Wien Ihre drängendsten Probleme gelöst?

Schottenberg: Valorisierungssummen haben wir ja noch keine bekommen. Die Stadt Wien ist dankenswerterweise mit diesem einmaligen Beitrag eingesprungen. Unabhängig davon sind wir mit 10,3 Millionen Euro weiterhin krass unterbudgetiert und müssen die Kollektivvertragserhöhungen einsparen. Wir haben im Bund noch keinen Verhandlungspartner, hoffen aber für die Zukunft auf offene Ohren.

Ich habe die Unterbudgetierung des Wiener Volkstheaters nicht erfunden! Das ist nur eine schwer zu kommunizierende Tatsache: Unser Etat wirkt ja für Leute von der Straße enorm hoch. Wer bedenkt schon, dass am Volkstheater 250 arbeitende Menschen hängen? Die Familienmitglieder dazugenommen sind es 1000. Wer weiß schon, dass wir maximal 22 Prozent des Etats selber einspielen können? Das tun wir auch. Ich habe eben den Wirtschaftsprüferbericht bekommen: Unabhängig von den zitierten 450.000 Euro ist unsere Bilanz im ersten Jahr ausgeglichen.

Standard: Und was brauchen Sie konkret mehr?

Schottenberg: Mehr als 800.000 Euro im Jahr.

Standard: Haben Sie irgendwann Anfang des Jahres daran gedacht, zu demissionieren?

Schottenberg: Nein! Und schreiben Sie bitte das Rufzeichen dazu.

DER STANDARD, Printausgabe, 23./24./25./26.12.2006)