Foto: Dumont
Es soll ja entfernte ländliche Gegenden geben, in denen zu Weihnachten Würstel gegessen werden (ich möchte meine Schwester in Kärnten schön grüßen lassen, wie man im TV zu sagen pflegt). Mir ist am Heiligen Abend jedenfalls die Wurst zwischen Buchdeckeln lieber, vorne galoppiert auf rotem Cover mit Goldlettern ein von hinten angeschnittenes Schweinchen. Bitte keine Verwechslung mit der in Schweinchenform gepressten Hartwurst, die man hin und wieder sieht. Denn hier geht es um "real stuff", nicht um Schweinekram in Plastikhüllen. Wiglaf Droste und Vincent Klink, wurstessender Schreiber und schreibender Wurstkoch, durch Häuptling Eigener Herd längst eine Marke, plus Nikolaus Heidelbach als genialer Wurstzeichner (ich sage nur: Würstchenträgerinnen in der Serengeti!) greifen tief in die Därme.

Und stellen sich tapfer der ewigen Frage der Menschheit, woher sie kommen und wohin sie gehen, die Würste. Striche man ihr das "r" raus, sie reimte sich auf Lust, schreibt Droste. Und wenig Köche gibt’s, die man so sehr mit Lust assoziiert wie Klink, den Herrn der Stuttgarter Wielandshöhe, Fernsehkoch und Autor und was sonst noch alles. Im neuen Buch – ach ja übrigens, Titel: Wurst – macht nicht alles Appetit, wie könnte es auch, wenn man der "Wurst ihre Geheimnisse entreißt", nicht nur mittels Rezept, sondern auch mittels Narrativ, wie man so schön sagt. "Werden wir sie nachher noch immer mögen?" Nicht alle, aber die von Klink proponierten dafür umso mehr.

Also, eingangs lehrt uns der Meister, dass es Brüh-, Koch- und Rohwürste gibt, was wir wussten, worüber wir aber noch nicht genügend nachgedacht haben, nämlich, ob diese Trinität die Wurst generell in den Stand der Heiligkeit erhebt. Klink bezeichnet die "Welt der Würste" gar als "Universum". Die Schwarzen Löcher, die sind dabei quasi der Darm: "Ob Schaf, Rind, Pferd, Ziege, die Därme sind so lang, dass man fast das ganze Vieh in ihnen unterbringen kann."

Stell dir ein Pferd vor, das vom eigenen Darm zur Wurst eingesaugt wird. Holy Cow. Nein, stimmt eh nicht, das Vieh in den Darm zu stopfen, ist mühsame Arbeit, hinten zubinden und Trichter ist schon mal ein guter Ansatz. Oder Spritzsack. Oder doch nur Esslöffel. Nicht immer muss das Tier in den eigenen Darm, Reh darf schon einmal ins Schwein oder "als Grillwürstchen in Saitlinge". Das sind zarte Schafsdärmchen (die man in Apulien um Stöckchen gewickelt und gegrillt schmaust, auch nicht schlecht). In der "Feinen Wurst vom "Reh" sind schwarze Nüsse, Pistazien, Piment und Cognac, Wacholder natürlich auch, das ginge als Weihnachtsessen sogar bei mir rein.

Aber kein Missverständnis, das ist nicht das Buch zur exotischen Wurst. Es gibt eine Bauernbratwurst, bei der nicht der Bauer verwurstet wird, sondern das gesunde Schwein. Es klingt eigentlich so, als könnte man das selbst zusammenbringen. Wenn nur das mit dem Darm nicht wär’. Eine Schweineleberwurst gibt es auch, die kommt in den Mastdarm. Zuerst in den vom Schwein. Natürlich schon auch Raffiniertes, oder raffiniert Gewürztes. Beeindruckend die „historischen Kochwürste“ – danke für den Rat, die beiden Schweinskopfhälften bei der Leberwurst in einen wirklich großen Topf zu tun. Und hin und wieder wird man der Spezies "Wienerle" begegnen, ja, Würschteln gibt es hier zu Lande wirklich zuhauf. (Gudrun Harrer/Der Standard/Printausgabe/23/24/25/26.12.2006)