Das mit dem Nachnamen hat etwas länger gedauert, genau genommen bis Anfang dieses Jahres, jetzt aber trägt auch Mieze einen. "Katz", sagt sie, "Mieze Katz heiße ich." Ob man vielleicht in ihren Ausweis schauen wolle? "Wennste willst, mach mal." Bei manch einem heißt erwachsen werden, eine Nacht durchmachen oder an verbotenen Glimmstängeln ziehen. Das hat Mieze wahrscheinlich schon lange hinter sich. Für sie ist erwachsen werden eine Frage des Namens.

Foto: Mia

Bis jetzt war sie einfach nur Mieze, eine rotzige Berliner Göre, gutgelaunte Frontfrau der Elektropunkband Mia und aufbrausende Musikzicke. Eine, die viel zu viel Rouge auf den Wangen hat und so tut, als ob ihr Manieren egal wären. In ihrem 28. Lebensjahr ist Mieze jetzt aber Frau Katz. Ein Glück, dass man sie nicht mit Sie anreden muss. "Remodeling" sagt man, wenn sich jemand ein anderes Image verpasst, "ich habe mich weiterentwickelt", sagt dagegen meist der oder die Betroffene. Das sagt auch Mieze und fügt dann hinzu: "Die Wut, das Gemotze, das Gemeckere, das Laute, das hat mich nicht mehr interessiert."

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Vorbei die Zeit des Elektropunk, Mieze ist reifer geworden. Vor einigen Jahren hätte man sich bei dieser Diagnose ernsthaft Sorgen um das Wohl der Patientin gemacht. Muss man aber nicht: Quietschfidel ist Mieze, als sie mit Anhang und Trolley beim Foto- shooting auftaucht. "Wo sind die Kleider?", jauchzt sie, "wo die Brötchen?", ihre Assistentin. "Hmm", grummelt die Sängerin, und "Ach nee", "das zieh ich nicht an", und "was, das soll hübsch sein?" Keine Frage: Mieze ist reifer geworden, sie ist zickig, aber dabei herzlich, sehr modebewusst, aber sie lässt sich auch was sagen.

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Im Grunde ist sie aus demselben Stoff gemacht wie früher. Und der ist ziemlich starker Pankower Tobak. In dem Ostberliner Stadtteil ist sie aufgewachsen, sie sang im Chor und lernte Gitarre. Am John-Lennon-Gymnasium und auf Vermittlung von Mitschülerin Sarah Kuttner gründete sie (zusammen mit Andi Ross) 1997 eine Schülerband. Den Namen Mia gab es damals noch nicht, er leitete sich erst später vom früheren Bandnamen "Me In Affairs" ab. Mittlerweile assoziieren Mieze und Co das Kürzel lieber mit "Musik ist Alles", das klingt zwar gewaltig bieder, ist aber schön deutsch. Und das ist ziemlich wichtig bei dieser Gruppe.

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Im Zuge des Deutschpop-Hype, der Überführung der Neuen Deutschen Welle in die Gegenwart, wurde auch das Phänomen Mia geboren - und Mieze als 80er-Jahre-Quietschgöre, die in schrillen Klamotten unterm Fernsehturm am Alex herumturnte. "Hieb- und Stichfest" (2002) hieß das dazugehörige Album, ein vorlautes und frech inszeniertes Kompendium schneller Nummern, das ziemlich viel Spaß machte. Neben "Wir sind Helden" hatte der Deutschpop eine neue Vorzeigegruppe, der bald weitere Jungsbands mit Mädels am Mikro (Juli, Silbermond) folgten.

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Lang hielt sich der Spaß aber nicht, den Beitrag von Mia zur "Patriotismusdebatte" fanden nämlich viele nicht mehr lustig. "Fragt man mich jetzt, woher ich komme / tu ich mir nicht mehr selber Leid / ich riskier was für die Liebe / ich fühle mich bereit", sang Mieze in "Was es ist", einem Liebeslied an die eigene Nation: schwarz-rot-goldene Geschichtsbewältigung der smoothen Art. Rechtes Gedankengut wurde Mia bei Erscheinen der zweiten Platte "Stille Post" unterstellt, und noch heute schäumt Mieze, spricht man sie darauf an:

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"Es wurden so viele Lügen über mich geschrieben. Ich bin nie in einem schwarz-rot-goldenen Outfit über die Bühne gerannt oder habe mich in die Deutschlandfahne gehüllt." Um einen Diskussionsbeitrag sei es der Gruppe gegangen, darum, wie Deutschland besser mit seiner Identität klarkomme. "Aber den meisten war die Schlagzeile wichtiger als das, worum es uns ging. Selbst eine Zeitung wie die taz hat schlecht recherchiert." Letzteres wurmt Mia besonders, schließlich bezog sie jahrelang ihr Weltbild von der Berliner Tageszeitung, der Hauspostille von allem, was in Deutschland links und alternativ ist.

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Diesem Soziotop rechnet sich auch Mieze zu. Sie singt über Demos und Mülltrennung, macht sich Gedanken über politische Verantwortung des Einzelnen und fragt, ob sie bei H&M oder Schlecker einkaufen dürfe und trotzdem ein guter Mensch bliebe. Das neue Album hat sie trotz allem nicht "Ökostrom" getauft, wie eines der Lieder darauf heißt, sondern "Zirkus". Für sie (erstaunlicherweise) weniger ein Ort prekärer Arbeitsbedingungen als ein Ort romantischer Verklärung: samt Akkordeonmelodien und Trommelwirbel, Trompete und Xylofon.

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Mieze ist offenbar nicht nur reifer, sie ist auch milder geworden. Die Aggressionen und Provokationen von früher fehlen ganz, statt des ungezogenen Dings, das den Stinkefinger zeigt, gibt sie das Mädel, das sich ins Poesiealbum vertieft. "Mein Herz tanzt", ist die am öftesten wiederholte Liedzeile im aktuellen Hit "Tanz der Moleküle". Dazu passt auch der Enthusiasmus für die Zirkuswelt: Seit März ist Mieze selbst auf einer Artistenschule, einen Trapezakt hat sie dort einstudiert, den sie im Rahmen der Tour auf der Bühne vorführen wird. "Wenn ich ein Engel wär", singt sie "wenn ich ein Engel wär/ gäb ich meine Flügel her, und ließ' mich fallen."

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Noch singt Mieze diese Liedzeilen im Konjunktiv. Auch eine Frau Katz weiß, dass man ihr die blütenreine Weste nicht abnehmen wird - auch nicht abnehmen soll. Schließlich ist sie eine ausgemachte Rockgöre, oder wie Mieze sagen würde: "Entweder es knallt oder nicht." (Stephan Hilpold/Der Standard/Rondo/22/12/2007)

Mia-Konzerte finden am 12. Jänner im Grazer Orpheum, am 13. im Wiener Gasometer und am 14. im Linzer Posthof statt.
Mia rockt

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