"Droge der billigen Energie": Michail Marynitsch.

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Wien – Der inhaftierte weißrussische Oppositionspolitiker Alexander Kosulin hat seinen Hungerstreik nach 53 Tagen abgebrochen, schwebt aber weiter in Lebensgefahr, weil ihm ärztliche Betreuung verweigert wird. Kosulin verbüßt eine fünfeinhalbjährige Haftstrafe. Er hatte nach der offenkundig gefälschten Präsidentenwahl im März zu Demonstrationen aufgerufen. Kosulin will mit seiner Aktion die zerstrittene Opposition zur Einigung bewegen.

Diese Wirkung sei durchaus erzielt worden, sagte Michail Marynitsch, ein anderer prominenter Oppositionsvertreter, am Freitag in Wien im Gespräch mit dem Standard. Es bestehe inzwischen „eine sehr große Bereitschaft zu einer Aktionseinheit“. Einen ähnlichen Effekt habe auch die jüngste Überreichung des Sacharow-Preises des EU-Parlaments an Oppositionsführer Alexander Milinkewitsch: „Das wird als Auszeichnung für die gesamte Opposition empfunden.“

Marynitsch, ehemaliger Außenhandelsminister, wurde im April vorzeitig aus der Haft entlassen. Er war Ende 2004 zu fünf Jahren Haft wegen angeblichen Computerdiebstahls verurteilt worden – eine konstruierte Beschuldigung. Sein wahres „Vergehen“ bestand darin, dass er bei der Präsidentenwahl 2001 gegen Staatschef Alexander Lukaschenko angetreten war – wie bei den Wahlen im heurigen März Milinkewitsch und Kosulin.

"Einer der fünf ärgsten Polizeistaaten der Welt"

„Weißrussland ist einer der fünf ärgsten Polizeistaaten der Welt“, sagt Marynitsch. Rund tausend politische Gefangene – das sei in Relation zur Gesamtbevölkerung ein weltweiter Spitzenwert. 2007 werde aber einen „kalten Guss“ für das Regime bringen. Lukaschenko hänge bisher an der „Droge der billigen Energie“ aus Russland. Mit der angekündigten Erhöhung des Gaspreises werde sich dies ändern. Antirussische Attacken würden dem Regime aber keineswegs nützen, denn die Bevölkerung sei massiv prorussisch eingestellt. Deshalb habe auch die Opposition nur eine Chance, wenn sie für Zusammenarbeit mit Russland sei.

Das unterstreicht auch eine Studie des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM), die Anlass für den Wien-Besuch von Marynitsch war. Anhand von Umfragen machen die Verfasser, Hans-Georg Heinrich und Ludmilla Lubova, klar, dass Weißrussland ein großes Potenzial reformbereiter Eliten hat, die keine antirussische Politik machen würden. Unter dieser Voraussetzung wäre auch Moskau trotz seines autoritären Kurses durchaus bereit, den demokratischen Wandel bei den Nachbarn zu unterstützen, meint Marynitsch. (Josef Kirchengast/ DER STANDARD, Printausgabe, 16./17. Dezember 2006)