Romanzen im Doppelpack

Zwei junge Frauen, beruflich erfolgreich und in der Liebe somit zwangsläufig enttäuscht, beschließen um die Weihnachtszeit, dass Tapetenwechsel ansteht: Und so stöckelt die eine bald mit ihrem Rollenköfferchen auf ein romantisch verschneites englisches Landhäuschen zu, während die andere ob der kalifornischen Tauschunterkunft mit Pool in Verzückung verfällt. Und auch für passende männliche Begleitung ist rasch gesorgt.

Liebe braucht keine Ferien / The Holiday heißt der jüngste Film von Nancy Meyers, ...

Fotos: UIP

... ... die ihre Hollywood-Karriere einst als Autorin von 'Schütze Benjamin' startete und sich inzwischen mit 'What Women Want' und 'Something's Gotta Give' als Regisseurin starbesetzter, romantischer Unterhaltungsroutinen für ein weibliches Zielpublikum empfohlen hat.

Aktuell treten Cameron Diaz, Kate Winslett, Jude Law, Jack Black sowie Hollywood-Veteran Eli Wallach den Nachweis an, dass Liebe keine Ferien braucht, solange nur das Drehbuch stimmt. [irr]

österreichweit
Link: uip.de/liebebrauchtkeineferien

Fotos: UIP

Von der RomCom, passend zur vorweihnachtlichen Dating-and-Mating-Saison, zum Körpersaft- und Elemente-Epos: Grelle Realsatire ist Apokalypto von Mel Gibson (Wundert's wen bei dem Typ?), die ersten Minuten sind schon vielsagend. Ein Jägerquintett im Regenwald hat einen Tapir erlegt, blutig wird zerteilt. Man redet über die Produktion von Söhnen, der Häuptlingssohn ist federführend, der verzagt Dickliche mit Schwiegermutter-Problem muss erst Tierhoden verkosten, um dann belehrt zu werden, dass nur Verzehr vom Fleisch selbst und Heilkräuter helfen können. Der rustikalen Dorfsippschaft der Geerdeten ist jedoch kein langer Frieden vergönnt, Kriegerhorden mit Versklavungsabsicht überfallen sie, ...

Foto: Constantin

... und schon geht's ab auf eine Maya-Pyramide, auf der den falschen Götzen gehuldigt und Menschenopfer dargebracht werden. Sicherlich gab es Kulturwissenschafter als Berater, aber dass sich ernsthaft um Präkolumbianer drehen soll, glaubt wohl niemand. Wogegen sich der Film konkret richtet - außer gegen urbane Zivilisation allgemein -, bleibt wolkig. Zur optischen Orientierung wirkt der von Schafott zurück in den Wald fliehende Junghäuptling (Rudy Youngblood) nach dem Vorbild des Fussballers Ronaldinho gecastet. Das eher universelle Grundmotiv des "Scared Runners" erhält mächtig Unterfütterung: Jaguarpfote, so heißt er, wird (schnuckelig animiert) zu dem, "der vor dem Jaguar läuft". Und dann wäre da noch das Feuer, ...

Fotos: Constantin

... das reinigende Wasser, ein Sumpf, aus dem Jaguarpfote quasi als Swamp Thing auftaucht und ab da die Kräfte des Waldes zu nutzen versteht. Und viel Blut fließt alleweil. Die junge hochschwangere Gattin sitzt indes samt Erstgeborenen wortwörtlich im schwarzen Loch, schicksalshaft fällt der Regen, der eine wehenfreie (!) Unterwassergeburt erlaubt. In Fortsetzung der anglikanischen Xmas-Story der Vorwoche: Wenn ein Berichten zufolge eher radikal gläubiger Mensch sich in Effektzauberei versucht, wird's Devotionalienkitsch, hier halt am Ethno-Sektor. [hcl]

Ausführlicheres siehe in der
Besprechung von Claus Philipp

österreichweit
Link: apocalypto.film.de

Fotos: Constantin

Religionsväter jeglichen Couleurs sollten bedenken, dass man heute nicht mehr mit 18 heiratet, dass es somit nicht nötig ist, Pubertierende mit langfristigen Treueeiden zu behelligen - es sei denn, um offen zuzugeben, dass ein patriachaler Regelkodex etabliert werden soll, bevor Aufmüpfigkeit per Hormonkraft aufkeimt. Na gut, einem diesbezüglichen Totalerweigerer fällt der Hinweis natürlich besonders leicht, dass das Bürgerliche Gesetzbuch lebensweise für die Jahre von 14 bis 18 eine eingeschränkte Strafmündigkeit und Geschäftsfähigkeit eingerichtet hat. Ruth Beckermanns Zorros Bar Mizwa wirft nun einen dokumentarischen Blick auf die Eintrittsrituale der jüdischen Gemeinden in Wien und liefert ziemlich wertvolle Aufklärung ...

Foto: Filmladen

... für die Mehrheit der Gefirmten und Konfirmierten - die hoffentlich erkennen werden, wie strukturell so ähnlich es bei den alttestamentarischen Glaubensnachbarn abläuft, freilich mit etwas anderer Dramaturgie. Vier sich zu religiösen Traditionen bekennende Familien treten auf; bei der Jugend spannt sich der Bogen vom Stolz des in Vaters Fußstapfen tretenden Buben bis zum sichtbaren Stress in einem Mädchengesicht. Der Filmtitel bezieht sich auf einen ritualisierten Abschied von dieser Jugend; vor Kamera darf dann etwa Kinoheld Zorro nachgestellt werden: durchs Gebüsch reiten und fechten - allerdings dann doch nicht mit Ms. Zeta-Jones flirten. Die Dokumentation hat jedenfalls viel Charme ...

Fotos: Filmladen

... - und noch eine weitere Eigenschaft, die sehr innerstädtisch wienerisch ist: Hinter die Person eines hauptberuflich Bar/Bat Mizwas abfilmenden Kameramannes zurücktretend und äußerst weich editiert, nimmt die Doku eine händereichend integrative und dadurch auch distanzierte Haltung ein. Und ob sich dabei konfessionelle Kollektiv-Identität zu sehr über Individual-Identität gelegt hat, darüber mögen die nun 12- und 13-Jährigen in ein paar Jahren ihre Einschätzungen abgeben. [hcl]

Ausführlicheres siehe in einem
Interview von Dominik Kamalzadeh

österreichweit
Link: ruthbeckermann.com/zorroderfilm

Foto: Filmladen

Ein sehr interessantes Exempel einer wenig kontrollierbaren Unterströmung unter Religiosität beleuchtet hingegen die niederländisch-italienische Dokumentation Die Träume Neapels / Dreaming By Numbers: Die Popularität des Lotto- und Bingospielens speist sich natürlich aus Träumen von Erfolg und Reichtum. Doch parallel dazu sind die Zahlen mit einer enzyklopädischen Menge symbolischer Bedeutungen besetzt; das Sprechen anhand dieses "Aberglaubens" dient - analog zu dem hiezulande üblichen Herumdeuteln an den so genannten Sternzeichen und Aszendenten - dem ganz alltagszugewandt praktischen Effekt, sich verdeckt über Traumdeutungen, Sorgen und Hoffnungen auszutauschen.

Foto: Salzgeber

Regisseurin Anna Bucchetti geht aus vom Betrieb in einer Lotteriestelle, macht diverse Interviews, unter anderem mit einem freundlichen greisen Uni-Professor, der auf die Wurzeln im mediterranen Kulturaustausch von vor über 2000 Jahren hinweist, und legt insgesamt einen angenehm gelassenen, nie dogmatischen Zugang an den Tag, der eine ziemliche Empfehlung ergibt. [hcl]

Foto: Salzgeber

Das US-Kino (präzise: Rupert Murdochs cleveres Centfox-Studio) kam zur Erkenntnis, dass eines auf Schreibtempo gedrillten Teenage-Nerds Phantasien über Drachen, Ritter, Prinzessinnen auch im Filmformat ein gutes Geschäft ergeben könnten - und zwar einfach, weil diesem die Zielgruppe so innig vertraut ist. Man warte also auf die langfristigen Box-Office-Zahlen für Eragon - Das Vermächtnis der Drachenreiter.

Ausführlicheres siehe in der
Besprechung von Claus Philipp

österreichweit
Link: eragonmovie.com

Nun zu denen, die schon früh im Leben "verdorbene Literatur" gelesen haben:

Foto: 20th Century Fox

Paris, die Welthauptstadt der Erotik - ein alter Mythos. Frankreichs Kulturindustrie hat in der abgelaufenen Dekade in Literatur und Autorenfilm diese Karte sehr offensiv gespielt. In einer neuen Volte meldet sich nun Bertrand Blier (l.u.) mit Combien tu m'aimes?/ Wie sehr liebst Du mich? zurück, mit einer These: Wer Michel Houellebecq mit Hingabe liest, wird Prostitution romantisieren. Wobei der Kinoregieveteran der Libertinage-Bewegung der 70er Jahre damit argumentiert, dass der junge "Skandalautor" mit seiner Weltverachterpose niemanden einfangen könne, der zuvor Françoise Sagan gelesen hätte. Indirekter Beleg dafür wäre wohl Jean-Luc Godard, der 'Bonjour Tristesse' wohl zu sehr gesehen hatte, sich dabei in dessen Star verguckt, ...

Fotos: Constantin

... und sie für sein berühmtes Filmdebüt engagiert. Nun, Jean Seberg heiratete Romain Gary 1962, und Godard redete - nach erfolglosem Bemühen um Anerkennung bei den Situationisten (60er) - seither recht obsessiv und oft krause über Prostitution und Bild-/Text-Verhältnisse. Und vergleichbar altherrenhaft fällt nun auch Bliers Spielhandlung aus: Der Houllebecquianer (Bernard Campan) muss nämlich erst eine Reihe von Prüfungen bestehen, die ihm vom Zuhälter/Alt-Lover (Gérard Depardieu) gestellt werden, bevor er Alleinzugriff auf den Körper der Bardame (Monica Bellucci) gestattet erhält. Doch auch das wirkt thesenhaft, wie zur Betonung des performativen Aspekts des Kinos, dass Stars die stärkste Manipulations-Trumpfkarte sind:

Foto: Constantin

Gérard nationale, Bliers alter Spießgeselle aus Rebellenzeiten, gönnt sich also einen seiner gutgelaunten Filmset-Ausflüge von seinem Weingut-Chateau, La Bellucci spielt gekonnt mit ihrem patentierten traurigen Marien-Magdalenen-Look, Bernard Campan imitiert Michel Blanc. Den trockenen Dialogzeilen gilt der Konsumtipp, viel Haut ist der vordergründigere Selling-Point. Wer das alles für bare Münze nimmt, ist selber schuld; und wenn Blier assistiert, auch er bewundere die Damen des Pigalle, scheint klar, dass er zwar ein Dirty Old Man sein mag, aber ein ziemlich netter. [hcl]

österreichweit
Link: combientumaimes.com

Foto: Constantin

Frankreich zum zweiten: Eine Retrospektive Robert Guédiguian zeigt zur Zeit das Burgkino, eines formal und erzählerisch exquisiten Autorenfilmers, aber auch eines sehr schwierigen Menschen, als Sohn einer Deutschen und eines Armeniers (in Frankreich!) bisweilen ein perfider, weltanschaulicher Beißer. So hat er in 'Le promeneur du Champ des Mars' Präsident Mitterand posthum kräftig angepatzt, auf Basis eines "Enthüllungsbuchs" eines Journalisten, der, um einer höheren Tochter zu imponieren, die Historie kräftig verbog - wohl um damit vor allem den von Mitterand einst protegierten Kulturminister (aktuell graue Eminenz der PS) zu treffen. Denn als Obersozialist gebärdete sich Guédiguian selbst, mit Anflügen von Cäsarenwahn, ...

Foto: Cinestar

... wenn er, ein Chanson von Josephine Baker paraphrasierend, Gattin Ariane Ascaride im 'Marie-Jo et ses deux amours' quasi als Personifikation seiner Heimatstadt Marseille besetzte. In 'Mon père est ingénieur' enthüllte er dann erstmals die Suche nach seinen armenischen Wurzeln hinter seinem stur vorgetragenen Sozi-Pathos, die Retrospektive mündet in der Première seines jüngsten Werks 'Le Voyage en Arménie', und nach dieser filmischen "Reise" sieht er sich nun als des Landes "Botschafter". Wie gesagt: toll gemachte Werke einer sehr getriebenen Gemüts. Und, wie's so schön heißt: Gott, wenn es ihn gibt, sei seiner Seele gnädig, wenn er eine hat. [hcl]

Details, Programm: burgkino.at

Foto: Cinestar

Zu den Ungefeierten: Haben Vertriebsfirmen, Presse und Publikum im Kollektiv einen kritischen Sinn für Gerechtigkeit, oder gibt es sie, die "Beautiful Losers", die auf späte Würdigung warten müssen? Das Festival des gescheiterten Films veranstaltet von 15. bis 17.12 im Schikaneder Kino jedenfalls einen großen Testlauf; je nach persönlichem Vorwissen besteht einige Chance zum Aufspüren von unfreiwilligem Humor. Ausprobieren! [hcl]

Foto: Schikaneder

Beruhend auf einer bestechenden Darstellung von Sandra Hüller und mit einer raffinierten, Zeit und Stimmung vermittelnden Kamera erzählt Reguiem (zu sehen im Rahmen der Reihe '[W] is for Women' von 15. bis 17.12. im Topkino) von der Vorgeschichte der letzten tödlichen "Teufelsaustreibung" in muffiger süddeutscher Provinz. Hans-Christian Schmids Regie mag vor Mitgefühls-Seligkeit arg triefen, immerhin erinnert sie, was für perverse Hunde selbsternannte Inquisitoren und Exorzisten sein können. [hcl]

Details, Programm: identities.at

Foto: Filmladen

Und wem die aktuelle saisonale großstädtische Hektik ein bisschen zu überspannt scheint, der erhole sich bei solider alter Großstadtliteratur, bei Arthur Schnitzler und der Film im Metrokino, frage sich etwa, wieviel von Nabokov der US-Grübler Stanley Kubrick in 'Eyes Wide Shut' (Bild, 16.12. 20:30) der 'Traumnovelle' beigemischt hat, wie das öffentliche Melo des Metzgersohns Alain Delon und der Schauspieltochter Romy Schneider seine Spur durch die Filmgeschichte zieht, oder hole sich Gelassenheit anhand von Adolf Anton Wilhelm Wohlbrücks Intonation eines betörenden Oscar-Straus-Walzers. [hcl]

Details, Programm: filmarchiv.at

Foto: Warner

Oder aber man besuche mit der Retrospektive Jean Renoir die bildermächtige Welt jenes Regisseurs, der vom jungen Truffaut & Co. in seinem schreiberischen Kampf gegen das "Cinéma du Papa" als "Padron" verehrt wurde. Überzeichnung beides, aber was soll's. Renoir hatte seine überaus guten Seiten: Sein Pazifismus war profund, 'Le Corporal épinglé' (o., 21.12. 18:30) ist in Nachfolge seines ungleich berühmteren 'Le Règle du jeu' (21.12: 20:30) eine tiefe Generalanklage gegen den Zweiten Weltkrieg. Seine Romantisierung der Natur, etwa berühmt in 'Le Déjeuner sur l'herbe' (17.12. 18:30), hier in 'Le Petit theatre de Jean Renoir' (u., 20.12. 20:30), hat es nicht nötig, auf Raubkatzen zur Vermittlung zurückzugreifen.

Fotos: Filmmuseum

Nicht, dass sein Werk ohne Fehler ist: Das Showbusiness nur rein durch die Brille eines Melodramatikers sehen zu können (wie etwa in 'French Cancan', o., 16.12. 18:30), ist verzopft; und aus heutiger Sicht blinde Verehrung brachte er Kolonial-Settings entgegen: in seiner späten, in Indien angesiedelten Jungmädchen-Schmachterei 'The River' (sehenswert dank Farbenpracht, 18.12. 20:30), in seinem Frühwerk 'Le Bled' (u., 18.12. 18:30). Übrigens: famos fashionable, diese Hüte. [hcl]

Ausführlicheres zur Retrospektive siehe in der
Besprechung von Isabella Reicher

Details, Programm: filmmuseum.at

Hans Christian Leitich [hcl]
auf Grundlage von:
Isabella Reicher [irr]
(DER STANDARD, 14. 12. 2006)

Fotos: Filmmuseum