Wien - "Anne Teresa hat viel Erfahrung mit Musik: mit Bach, Beethoven, Bartók, Ligeti, Steve Reich. Dabei braucht sie sie gar nicht. Ihr Tanz ist selbst Musik! Das ist der Grund, weshalb sie viele Choreographien ohne Musik belässt. Für die Musiker ein Vor-und ein Nachteil. Du fühlst, sie braucht dich nicht essenziell; wenn sie sich aber für dich entscheidet, weißt du andererseits, dass deine Musik prägnant ist." Unbeabsichtigt klopft sich Fabrizio Cassol, Saxophonist des Brüsseler Jazz-Trios Aka Moon, mit solchen Worten selbst auf die Schulter. Die von ihm entworfenen akustischen Strukturen sind integraler Bestandteil von Anne Teresa de Keersmaekers jüngstem Projekt In Real Time, mit dessen Aufführung am 13. Juli im Burgtheater das tanz2000.at -Festival eröffnet wird. Die belgische Choreographin betrete dabei Neuland, so Cassol, der 1999 bereits an I Said I (nach Peter Handke) mitwirkte: zum einen, als sie erstmals auf keinerlei Musik als Grundlage zurückgegriffen hat. Zum anderen, weil zu Probenbeginn jeder "Plot" fehlte. Selbstdarstellung 14 Tänzer der Kompanie Rosas sollten nebst vier Akteuren des Kollektivs Stan und den Musikern die Bühne bevölkern und sich gleichsam selbst darstellen: De Keersmaekers Idee, die Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen zum Thema zu erheben, ließ das Stück in natürlicher Weise entstehen. Cassol: "Zu Beginn setzten wir uns alle, rund 20 Leute aus Japan, Neuseeland, Deutschland, Spanien, den Niederlanden usw., an einen Tisch und unterhielten uns über unsere Erwartungen, Hoffnungen, Ängste zu Beginn des neuen Jahrtausends. Und Gerardjan Rijnders, der Autor, formte aus diesen Gesprächen einen Text für das Stück." Cassols Musik entstand in einer Art Kristallisationsprozess: Auch er ließ sich von den internen Diskussionen zu ersten Skizzen inspirieren, parallel dazu entwarf de Keersmaeker das tänzerische Vokabular, freilich noch nicht die Choreographie. Erst nach und nach wurden Text, Musik und Bewegung wechselseitig vernetzt. Wobei in allen Bereichen Freiraum für Spontaneität blieb. "Unsere Musik ist sozusagen mobil, da wir improvisieren, wenn auch auf Basis fester Strukturen. Zudem gibt es fixierte Bewegungselemente, die jederzeit gewechselt werden können. Manchmal sind die Tänzer für uns wie eine live zu lesende Partitur." In Real Time, in Echtzeit müssen Tänzer, Musiker und Schauspieler jeden Abend neu zueinander finden. Wie im "richtigen" Leben eben. Wobei auch die schwierige Balance zwischen Einzelnem und Ganzem die Mannen von Aka Moon, deren Stammbesetzung mit Cassol, Bassist Michel Hatzigeorgiou und Drummer Stéphane Galland um Keyboarder Fabian Fiorini erweitert wird, gedanklich wohl in den Winter 1991/92 zurückführt, als man eine Reise zu den Aka-Pygmäen in der Zentralafrikanischen Republik unternahm. Er kehrte, tief beeindruckt vom "besitzlosen" Sozialsystem des Stammes, zurück, um eine Band zu gründen. "In diesem Stück agiert jeder in individueller Weise und muss doch auf das Kollektiv Rücksicht nehmen. Wir diskutieren, was möglich ist; Fragen tauchen auf. Aber wir geben keine Antworten. Nur die eine Aussage: Es gibt Alternativen. Alles ist möglich." Andreas Felber