Othmar Bajlicz, Chef des Wiener Liveclubs Chelsea: "Das Kulturelle war eher eine Begleiterscheinung."

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Bajlicz über seine Rolle als zufälliger Pionier, englischen Fußball und die Zeit, als Wien hauptsächlich eines war: öde.

Wien – Wer nichts mehr wird, wird Wirt. Heißt es. Im Falle von Othmar Bajlicz stimmt das nicht. Nicht ganz. Zwar wurde der frühere Fußballer (u. a. Meister mit Wacker Innsbruck 1974/75) nach seiner aktiven Karriere und einem, wie er sagt, "unglücklichen Intermezzo in der Verwaltung bei der Post" tatsächlich Wirt. Doch es wurde kein depressives Espresso mit verblichenen Wimpeln, staubigen Pokalen und Fotos von früher, sondern ein Underground-Club, der in den 20 Jahren seines Bestehens zu einer kulturellen Institution der Bundeshauptstadt wurde.

Bajlicz: "Dabei ist das Kulturelle eher eine Begleiterscheinung. Ich bin damals nicht herumgerannt und habe mich als Pionier gefühlt, sondern habe einfach gemacht, was mir in Wien gefehlt hat."

Damals war 1986 und gefehlt hat zu der Zeit einiges. Vor allem für jemanden wie den heute 54-Jährigen: "Ich bin oft nach London geflogen, wegen der Musik, der Clubs und dem Fußball. Wenn ich dann von dort zurückgekommen bin, erschien mir Wien nur noch öder."

Also eröffnete er im Dezember 1986 im achten Bezirk das Chelsea, benannt nach dem Londoner Stadtteil seiner Sehnsucht: eine kleine Bar im Erdgeschoss, eine Minibühne in einem größeren Raum im Keller. Er veranstaltete Konzerte von kommenden Superstars und bekannten Namen wie Soundgarden, Die Goldenen Zitronen, Die Toten Hosen und, und, und. Gleichzeitig fungierte der Club als Nährboden für heute auch international wichtige heimische Musiker, hauptsächlich aus dem Gitarrenrockbereich wie etwa Hans Platzgumer.

Das Chelsea war einer der ersten Clubs mit DJ-Musik. Bajlicz: "Das war logisch. Bei mir trafen sich ja lauter Musiker, Musikjournalisten, Plattenhändler und ihre Kundschaft, und zu den Livekonzerten passte DJ-Musik auch besser als irgendein Mixtape vom Kellner." Doch der Erfolg brachte auch Probleme: "Wenn ich etwas bereue, dann, dass ich in einem Wohnhaus einen Live-Club gemacht habe", sagt er und scheint heute noch zu leiden. Nach Anrainerbeschwerden, Konzertverboten und einer gerichtlichen Kündigung war im September 1994 Schluss mit dem alten Chelsea.

Zur selben Zeit entschloss sich die Stadt den damals vom Rotlicht dominierten Gürtel vor der Verslummung zu retten und zu revitalisieren. Noch bevor mit EU-Förderungen Clubs wie das Rhiz, B72 und andere, die heute die beliebteste Clubmeile der Stadt ausmachen, aufgesperrt haben, eröffnete Bajlicz am 8. Juni 1995 in drei renovierten Gürtelbögen das Chelsea neu.

Bajlicz: "Als ich die Räumlichkeiten zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, das ist es: Keine Anrainer, laut ist es sowieso, man kann also Konzerte veranstalten." Daneben publizierte der 1952 im burgenländischen Oberwart Geborene den 1987 ins Leben gerufenen Chelsea Chronicle und stand der Chelsea-Fußballmannschaft vor – die einzige Gelegenheit, Bajlicz einmal nicht in Schwarz gekleidet zu sehen. Der 1999 sanft entschlafende Chronicle brachte den Synergieeffekt, "dass ich gute Kontakte zu Bands herstellen konnte".

1500 Konzerte

Bis heute hat der Vater einer Tochter fast 1500 Konzerte veranstaltet, wobei er sich vom Booking zurückgezogen hat, aber noch mitentscheidet, wenn eine Nachwuchsband bei ihm auftreten will. Und wenn private Helden wie Edwyn Collins auflegen, sorgt sich der Chef persönlich um deren Wohlergehen, edle Tropfen inklusive.

Das Chelsea, das seit Anfang 2003 aus vier Bögen besteht, beruht auf drei Angebotsbereichen: die Konzertschiene, das boomende Partywochenende mit DJs und Fußballübertragungen auf Großleinwänden, Schwerpunkt – natürlich – englische Liga. Dass der "Sturschädel von großer Herzlichkeit", wie ihn ein ehemaliger Chelsea-Booker beschreibt, damit nicht den innovativsten Club betreibt, weiß er.

Aber der Erfolg gibt ihm recht. Gut 500 Gäste hat er an Sommerabenden im Lokal und dem trotz Gürtelverkehr gut gefüllten Gastgarten. Bajlicz: "Wir haben ein eher studentisches Publikum, das auf hippe Indie-Musik steht. Wichtig ist, für junge Leute attraktiv zu bleiben und nicht zu überaltern." Das scheint Bajlicz bestens zu gelingen.

Kritik gab es zuletzt, weil das Chelsea auf den Anstieg von Kleinkriminalität und Gästebelästigungen mit einem Türsteher reagierte, was nach Anfangsschwierigkeiten nun einigermaßen funktioniert. Neben einem exklusiven, umfangreichen Liveprogramm (siehe Kasten) gibt es zum 20. Geburtstag eine 44-seitige Broschüre, die die Chelsea-Historie umfassend präsentiert. (Karl Fluch/ DER STANDARD, Printausgabe, 05.12.2006)

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Das Chelsea bietet heimischen und internationalen Bands Auftrittsmöglichkeiten. Dem entspricht das Live-Programm im Dezember, das mit dem US-Trio The Thermals beginnt, die immergrünen Attwenger ebenso berücksichtigt wie rituelle Auftritte von Heinz und Christoph& Lollo. Im Detail:

7. 12. The Thermals

11. 12. Attwenger

12. 12. Sofa Surfers

13. 11. The Staggers

14. 11. The Rifles

18. 12. Sugarplum Fairy

19. 12. Heinz

20. 12. BulBul/Valina

21. 12. Christoph & Lollo