Weder eine positive noch eine negative Hitliste von Ländern bei ihrem Umgang mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit will Beate Winkler, Chefin der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) mit Sitz in Wien, erstellen. Denn diese Phänomene gebe es in allen Ländern der EU.

Foto: Standard/Christian Fischer

Nach wie vor könne Österreich bei der Umsetzung der Anti-Diskriminierungs- Richtline der EU mehr machen, ansonsten aber sei das Land im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten "relativ unauffällig". Im Vergleich zum vergangenen Jahr ähneln sich die Problembereiche, die in dem heute präsentierten Jahresbericht der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufgezeigt werden. Dies bedeute aber nicht, dass die Regierungen ihre Arbeit nicht ernst nehmen. Im derStandard.at-Interview spricht Winkler über die "von Diskriminierung am stärksten betroffenen" Roma sowie das positive Vorbild Großbritannien. Das Gespräch führte Sonja Fercher.

derStandard.at: Wo würden Sie Österreich der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sehen: Ist es ein Vorreiter, liegt es eher im Mittelfeld oder ist es ein Nachhilfe-Schüler?

Winkler: Es gibt im Bereich von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus keine Hitliste. Alle europäischen Länder haben dieses Problem, aber natürlich in unterschiedlicher Ausprägung.

Generell ist Österreich relativ unauffällig. Zwischen 2000 und 2005 verzeichnete es laut offizieller Statistiken sogar einen leichten Rückgang bei rassistischer Gewalt. Aber das sind die offiziellen Statistiken, von Seiten der NGOs liegen hier auch andere Einschätzungen vor.

derStandard.at: Im Vergleich zu den Berichten der letzten Jahre fällt auf, dass die Problembereiche weitgehend gleich geblieben sind. Nehmen die Länder Ihre Berichte nicht ernst?

Winkler: Sie nehmen sie ernst, aber die Umsetzung erfolgt zu langsam. Darüber hinaus aber muss man unsere Arbeit im Kontext sehen: Wir sind 37 Personen, die für 25 Mitgliedsländer zuständig sind. Es wäre eine totale Überschätzung, wenn man annehmen könnte, dass diese 37 Personen die Probleme von Millionen von Menschen lösen könnten.

Und noch deutlicher werden muss die Dimension der Thematik: Im 21. Jahrhundert gibt es zwei große Themen, das eine ist der Umgang mit unserem Planeten. Und: Wie gehen Menschen unterschiedlicher kultureller, ethnischer und religiöser Herkunft miteinander um? Dazu brauchen wir neue Kompetenzen.

derStandard.at: Das dramatischste Ereignisse des Jahres 2005 waren die Anschläge von London. Welche Auswirkungen hatten diese?

Winkler: Hier zeigt sich die Bedeutung unserer Arbeit: Als wir von diesem Attentat erfahren haben, haben wir sofort unsere Nationalen Koordinationsstellen aufgefordert, die Situation genau zu verfolgen.

Wir konnten beobachten, dass die Gewalt in London innerhalb von drei Wochen um das 500-fache gestiegen war. Durch das sehr entschiedene Engreifen der britischen Regierung, der Polizei und den Vertretern der muslimischen Organisationen gemeinsam mit den anderen Religionsgemeinschaften ging die Gewalt rasch wieder zurück.

Damit zeigt sich, welche Bedeutung politische Führung hat – und das haben wir auch in unserem Bericht hervorgehoben. Um Rassismus zu bekämpfen sowie um den Umgang mit kultureller, ethnischer und religiöser Vielfalt zu unterstützen, brauchen Sie im Wesentlichen drei Elemente: Politische Führung, den Erziehungsbereich und die Unterstützung der Medien.

derStandard.at: Gibt es denn unter den europäischen Ländern eines, das positiv hervorsticht?

Winkler: Wie ich bereits sagte, gibt es keine negative Hitliste, genausowenig gibt es eine positive. Aber es gibt Länder, die in einigen Bereichen aus Erfahrungen gelernt haben. In diesem Zusammenhang möchte ich Großbritannien erwähnen, und zwar einmal weil es eines der besten Datenerfassungssysteme hat. Das heißt, man weiß sehr genau, was vorgeht.

Zweitens versucht die britische Regierung, mit den Herausforderungen meist produktiv umzugehen, mit denen sie konfrontiert war. Wenn gravierende Konflikte auftraten, wurden Kommissionen eingesetzt, die versucht haben, das Phänomen genau zu ermitteln und dadurch auch eine effizientere Politik zu machen. Das war nach den Londoner Anschlägen oder auch nach den Unruhen von Bradford der Fall.

Es ist keine Politik gefragt, die die Probleme unter den Teppich kehrt, sondern eine Politik, die sich die Realität sehr genau ansieht und gleichzeitig bei der Verwirklichung ein rechtes Augenmaß hat.

derStandard.at: Großbritannien wurde in letzter Zeit allerdings als Beispiel für ein Land genannt wird, in dem die Integration von MigrantInnen überhaupt nicht funktioniere, wo die Parallelgesellschaft am deutlichsten ausgeprägt sei...

Winkler: Die Briten schauen auf die Realität. Dass sie das beste Datenerfassungssystem haben, kann dann aber folgenden Effekt haben: Im Jahr 2003 zum Beispiel wurden in Großbritannien 53.000 Vorfälle registriert, in Dänemark 53 und in Italien Null. Das heißt aber nicht, dass die Briten 53.000-mal fremdenfeindlicher sind, sondern sie konfrontieren sich mit der Realität und packen dann auch die Probleme relativ effizient an.

derStandard.at: Im Bericht werden fünf verschiedene Themenbereiche abgedeckt, in welchem gibt es denn die größten Probleme?

Winkler: Es sind alle Bereiche hochrelevant. Mit am gravierendsten ist die Frage der rassistischen Gewalt, weil Menschen, die davon betroffen sind, auch körperliche Schäden davontragen. Aber auch alle anderen Bereiche der Diskriminierung darf man nicht unterschätzen, ob am Arbeitsplatz, im Bildungs- oder im Wohnungsbereich.

Worum es uns geht ist, den Regierungen deutlich zu machen, dass es hier um eine der entscheidenden Zukunftsfragen für die EU-Mitgliedsländer sowie für die Europäische Union geht – sie dazu aufzufordern, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen: "Seht das Thema nicht nur negativ, sondern auch positiv. Es kann aber nur dann positiv begriffen werden, wenn ihr versucht, Diskriminierungen abzubauen und Perspektiven zu zeigen."

derStandard.at: Allerdings ist es ja doch eher so, dass sich Europa versucht abzuschotten. Wird dann wenigstens die Integration von MigrantInnen ausreichend gefördert?

Winkler: Auch hier haben wir es mit einer Realitätsverweigerung zu tun: Wir wissen aus allen Untersuchungen, dass Europa aus wirtschaftlichen wie demographischen Gründen mehr Einwanderung und Grenzüberschreitung braucht. Aber das Thema wird einseitig negativ dargestellt, statt auch die Chancen zu zeigen. Wirtschaftlich am erfolgreichsten sind jene Gesellschaften, die einen positiven Umgang mit der multikulturellen Gesellschaft haben, Talente fördern und mit Technologien gut umgehen. Wir sind noch nicht fit für unsere Zukunft.

derStandard.at: In Österreich kritisieren NGOs nach wie vor die mangelnde Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie. Zu welchem Schluss kommen Sie in Ihrem diesjährigen Bericht?

Winkler: Mittlerweile gibt es eine positive Entwicklung, aber sie ist noch immer nicht in dem Maße implementiert, wie es erforderlich wäre. Man könnte mehr machen, um vollständige Chancengleichheit herzustellen.

derStandard.at: Eine Gruppe, die nicht unter das Thema Migration fällt, sondern eine Minderheit darstellt, sind Roma. Wie sieht ihre Lage aus?

Winkler: Das ist jene Gruppe, die am stärksten diskriminiert wird. Wir stellen dies nun zum zweiten Mal in unserem Bericht fest, wir sind mit der Situation von Roma ganz anders konfrontiert, seitdem die Osterweiterung vollzogen wurde. Ein Beispiel: 70 Prozent der Romakinder werden immer noch in Sonderschulen oder Spezialklassen abgeschoben, und damit schiebt man ein Problem weg, anstatt hier wirklich Chancengleichheit zu fördern. (derStandard.at, 28.11.2006)