Ex-Notenbankpräsidentin Maria Schaumayer vermisst in der Gesellschaft "Instanzen, die Standards hochhalten", und bei den Mächtigen "Selbstzensur" - sowie ihren Hand-taschenmacher.

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STANDARD: Sie wurden zweimal aus der Pension zurückgeholt. Ist jetzt endlich Ruhe?.

Maria Schaumayer: Na ja. Ich bin i. R.: in Reichweite.

STANDARD: Unersetzlich?

Schaumayer: Blödsinn, die Friedhöfe sind voll mit lauter Unersetzlichen.

STANDARD: Ich habe Ihnen dieses Zeitungstitelbild mitgebracht. Wie gefällt Ihnen das Brautpaar?

Schaumayer: Er ist Gusenbauer. Aber wer ist sie?

STANDARD: Sie ist Wolfgang Schüssel. Eine Fotomontage.

Schaumayer: Jetzt sage ich Ihnen einmal ein kritisches Wort zur Rolle der Medien. Aber da muss ich vorsichtig sein, weil ich weiß ja nicht, wie freundlich Sie zitieren.

STANDARD: Ich schreibe, was Sie sagen.

Schaumayer: Eben. Die Medien sind schuld daran, dass in unserer Politik und Wirtschaft der Populismus auf so breite Basis gestellt werden konnte. Haider wäre ohne Medien nie so groß geworden.

STANDARD: Sie haben ja Haider auch ernst genommen: Er kritisierte die Notenbankprivilegien, Sie haben die Gagen gekürzt.

Schaumayer: Ich habe vor Haiders drastischer Intervention begonnen, die jenseits der Symmetrie liegenden Gagen der Notenbanker zu reduzieren; für mich, und damit zwangsweise auch für die anderen. So gesehen hatte Haider einen nützlichen Effekt, weil ich das aus eigener Kraft nicht geschafft hätte. Aber zur heutigen Politik: Ich glaube, eine europäische Entwicklung zu registrieren: Die Wähler sind infolge der populistischen Züge, die sich allerorts eingeschlichen haben, in einer Art verunsichert, dass sie klare Voten verweigern. Schauen Sie nach Deutschland, Italien, in die Tschechische Republik.

STANDARD: Die Leute wollen sich gar nicht entscheiden?

Schaumayer: ... oder fühlen sich überfordert, weil ihnen emotional Populismus zusagt, rational aber spräche manches dagegen. Daher gehen sie gar nicht zur Wahl oder wählen die Liste Morgenmuffel bei der Hochschülerschaftswahl.

STANDARD: Hätte es die zu Ihrer Zeit und nicht erst in den Achtzigern gegeben, hätten Sie aber nicht zur Zielgruppe gehört. Die waren eher die Faulis.

Schaumayer: Vom Sentiment her hätte ich sehr zu den Morgenmuffeln geneigt.

STANDARD: Morgenmuffel, ÖVP: ein Minderheitenprogramm?

Schaumayer: Ich glaube daran, dass die ÖVP eine wirkliche Volkspartei ist. Mir tut leid, dass Schüssel die Wahl nicht gewonnen hat, Österreich war gut unterwegs. Natürlich sind auch gravierende Fehler passiert: Die Politik hat zu wenig erklärt, Instrumente verwendet, die von populistischen Medien torpediert werden konnten. Wenn ich in Printmedien und Fernsehen nicht durchkomme, muss ich halt mit Steckzetteln den parkenden Autos gegenübertreten.

STANDARD: Steuerreform unter den Scheibenwischern?

Schaumayer:(lacht) Warum nicht? Jedenfalls ist es völlig unberechtigt, Häme über Schüssel auszugießen; schauen Sie nur die Braut da an.

STANDARD: Wird ihn nicht sehr kratzen ...

Schaumayer: Da unterschätzen Sie die Empfindsamkeit von Politikern. Ich habe mir am Beispiel von Drimmel (in den Sechzigern ÖVP-Unterrichtsminister und Vizebürgermeister von Wien; Anm.), der alles persönlich nahm, vorgenommen, das nicht zu tun. Man muss die Mauern von Ablehnung und Häme weglächeln, aber man spürt sie.

STANDARD: Sie waren 1956 in der CA die erste Frau in einer Managerausbildung, man ließ Sie aber nicht schnell genug aufsteigen. Mit 33 wurden Sie Stadträtin für städtische Unternehmen, haben die schaffnerlose Tram eingeführt.

Schaumayer: Ja, ja. Ich habe die Arbeitsplätze der Schaffner auf dem Gewissen - und die der Gaskassiere, weil ich die Jahresabrechnung eingeführt habe.

STANDARD: Drimmel nannte Sie "den einzigen Mann in der ÖVP". Hat Sie das gekränkt?

Schaumayer: Na freilich! Das war eine Verletzung der Menschenwürde und Menschenrechte! Ich hatte Drimmel zu spät aufgeklärt: über das Frau-Sein. Er hat meinen Protest zur Kenntnis genommen.

STANDARD: Dahinter stand, dass Sie so streng und konfliktbereit sind. Sogar der Kanzler soll Sie ja darob verehren.

Schaumayer: (lächelt) Ob das stimmt? Schüssel nenne ich dankbar einen echten Freund, und Freundschaften analysiert man nicht. Am strengs-ten bin übrigens zu mir selbst, Heldentum im Alltag verlange ich nur von mir, manchmal. Ich habe mir aber auch nie mehr zugemutet, als in mir drinnen war. Wie Drimmel sagte: "Vom Ochsen kannst nur Rindfleisch verlangen."

STANDARD: Verzeihen Sie die Assoziation: Sie wären fast Kandidatin für den Bundespräsidenten geworden.

Schaumayer: In der Hofburg wäre ich fehl am Platz gewesen. Ich habe nicht den Zuschnitt. Zudem hatte ich damals schon nach einem Bandscheibenvorfall eine Fußheberlähmung: Ich bin gehatscht. In der Notenbank war ich glücklich.

STANDARD: Sie haben trotzdem bis vor Kurzem Tennis gespielt?

Schaumayer: Ja. Ich ging ja früher auch Eistanzen - heimlich, mit Chauffeur.

STANDARD: Da hat die Notenbank-Chefin in der Mittagspause gesagt: "Heinrich, fahren Sie mich zum Eislaufverein"?

Schaumayer: Er hat's schon gewusst. Und er hieß Karl, und ich habe ihn nicht beim Vornamen genannt.

STANDARD: Sie sind für großräumige Handtaschen und gemusterte Kleider berühmt. Fegten Sie im geblümten Tutu übers Eis, mit Stammgast Otto Schenk?

Schaumayer: Ich trug Hosen. Getanzt habe ich mit unbekannten alten Herren, mit dem Otto Schenk oder Peter Weiser bin ich nur gelaufen.

STANDARD: Sie haben Ihre Notenbank-Gage 1992 von neun auf sechs Millionen Schilling reduziert. Wie sehen Sie die Manager heute? Die einen werden für Jobabbau belohnt, andere bekommen Treueprämien, wenn sie bleiben ...

Schaumayer: ... das ist ein interessanter Tatbestand. Treue verdient in der Wirtschaft einen neuen Stellenwert. Als ich 1987 die ÖMV an die Börse brachte, haben wir nachgedacht, wie wir die Kontakte zu den Aktionären halten können. Heute ist der Aktionär wie ein Wechselwähler: sprungbereit. Und es gibt wahrscheinlich mehr Daytrader als Langzeitaktionäre. Die Lockerung der Bindungen gibt es also auf allen Ebenen. Daraus resultiert die Gier. Damit meine ich auch Bawag-Funktionäre, die mit einer Hemmungslosigkeit zugreifen, die unfassbar ist.

STANDARD: Danke fürs Stichwort: "Mit der Rückführung der Karibik-Gelder ist der Dunst vom Finanzplatz Wien weg. Die rechtliche Würdigung obliegt dem Finanzminister." Das haben Sie im Mai 1995 gesagt.

Schaumayer: War nicht falsch. Ich habe nachgedacht, ob ich einer Unterlassung schuldig bin, aber das Follow-up nach dem Prüfbericht hätte als neuer Prüfungsauftrag aus dem Ministerium kommen müssen. Was wir aber alle mitein-ander unterließen, war, mit dem Aufsichtsrat zu reden, und auch ich habe nach meinem Abschied nicht nachgefragt, was aus der Sache geworden ist. Das wirksamste Mittel gegen Katastrophenhandeln Mächtiger sind interne Kontrolle und Selbstzensur: Gewisse Dinge macht man nicht, auch wenn sie lukrativ oder lustig erscheinen.

STANDARD: Wie Geschäfte mit dem eigenen Sohn, à la Flöttl?

Schaumayer: Zum Beispiel. Wir brauchen Instanzen, die Standards hochhalten. Und ich wünsche mir mehr Prediger, aber nicht Hass-, sondern Vernunftprediger.

STANDARD: Sie selbst haben immer prächtig verdient, aber viel gespendet. Heute auch noch?

Schaumayer: Mein Geld wird verteilt, für kulturelle und humanitäre Zwecke sowie für die von mir finanzierte Stiftung für die Förderung von Frauenkarrieren. Aber ich entäußere mich nicht vollends.

STANDARD: Apropos: Wie viel Geld geben Sie für Handtaschen aus?

Schaumayer: Wenig, seit mein Handtaschenmacher in Pension ging. Die Handtasche war die Punze, die mir Der Standard mit seiner Bildsprache aufgedrückt hat. Wissen Sie, der Witz waren die großen Außentaschen, da konnte ich Akten unterbringen.

STANDARD: Prada, Gucci dabei?

Schaumayer: Nein, heimisches Handwerk. Unter die Kategorie "Der Teufel trägt Prada" falle ich also so oder so nicht.

STANDARD: Reicht Ihre Sammlung an die Schuhsammlung Susanne Riess-Passers heran?

Schaumayer: Die habe ich nie gesehen; ich habe um die 16 Taschen. An Schuhkasten muss der Überwältigendste jener der Imelda Marcos gewesen sein. Kannte ich übrigens persönlich. Sie war furchtbar: Eiseskälte in dieser Person. Aber schöne Schuhe.

STANDARD: Wie haben Sie die spätere philippinische Präsidentenfrau kennen gelernt?

Schaumayer: Das war Anfang der Sechziger, es gab viele internationale Kontakte nach Österreich, und diese Leute schrieben sich ins Goldene Buch der Stadt Wien ein. So durfte ich den thailändischen König Bhumibol und seine Frau Sirikit kennen lernen, auch Ghadaffi. Ich durfte 1969 ja auch die englische Königin begleiten. Aufs Klo.

STANDARD: Ausgerechnet.

Schaumayer: Ja, das war im Rathaus mit den verwirrenden Gängen gar nicht so einfach. Ich musste sie begleiten, weil ich die einzige Frau im Stadtsenat war, die Englisch sprach. Obwohl: Ich war ja schon zuvor einmal bei ihr, bei einer Garden-Party, mit Freunden aus der englischen Aristokratie. Da hat es so geregnet, man war in voller Robe, aber mit Gummistiefeln.

STANDARD: Kombiniert mit Gummihandtasche?

Schaumayer: Ich kann mich nicht erinnern, was ich trug. Das im Rathaus traf mich jedenfalls unvorbereitet. Da wusste ich nicht: Wird von mir erwartet, dass ich Konversation mache oder dass ich den Mund halte? Ich habe ihr dann eine Frage gestellt, ob ich noch etwas tun kann, aber sie war recht wortkarg. Während ihre Mutter: das glatte Gegenteil ihrer Tochter.

STANDARD: Mit Queen Mum haben Sie sicher Gin getrunken.

Schaumayer: Nein, weil ich sie einmal bei einer Kindergarten- und das zweite Mal bei einer Spitalseröffnung traf. Da wird nicht getrunken. Im Spital hat mir die Königinmutter tatsächlich den Eindruck vermittelt, sie könnte sich an unser erstes Gespräch noch erinnern. Ich hab's zwar nicht wirklich geglaubt, aber ich hab mir gedacht: Diese Attitüde müsste man lernen.

STANDARD: Sie haben in der Pension noch eine der ganz wichtigen Aufgaben für Österreich erledigt, die Zwangsarbeiter-Entschädigung.

Schaumayer: Ich bin glücklich, dass ich's machen durfte. Es ging um Menschen, das war eine unendliche Bereicherung meiner Lebenswirksamkeit.

STANDARD:Schlussfrage: Worum geht's im Leben?

Schaumayer: Um Sinnhaftigkeit und innere Zufriedenheit.

ZUR PERSON

Maria Schaumayer (75) ist die emeritierte Grande Dame der österreichischen Wirtschaft. Die Grazerin studierte Welthandel, stieß bald an die gläserne Decke der Creditanstalt, wechselte 1965 für die ÖVP in die Wiener Stadtpolitik. Nach neun Jahren Kommunalkredit-Bank wechselte die passionierte Raucherin ("Mit 14 aus Hunger begonnen") zur ÖMV, die sie 1987, mitten im US-Börsencrash, an die Börse brachte.

1989 ging die Wortgewaltige, die "Finanz-, Handelsminister, Wiener VP-Chefin oder Bundespräsident hätte werden können", in Pension. 1990 wurde sie Nationalbank-Präsidentin, 2000 Beauftragte für die Entschädigung von Zwangsarbeitern. (Renate Graber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26.11.2006)