Odyssee eines Betrunkenen: Paulus Manker und seine Entführer in "Slumming".

Foto: Filmladen
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Wien – Ganz unten ist es ganz schön zermürbend. In der U-Bahn begegnen wir Franz Kallmann das erste Mal, wo er wie ein Obdachloser durch den Wagon wankt. Noch bevor irgendetwas von ihm zu sehen ist, hören wir ihn, seine Suada im Kopf: mieselsüchtig, grantig, voll des Ekels gegenüber der Welt und den Menschen, vom Alkohol entsprechend illuminiert – der Wiener Querulant in einer besonders exzessiven Variante. "I bin i, ich siach durch den Mund ...", und mehrmals: "Foahrscheine – in Oarsch eine."

Franz Kallmann, Dichter, Säufer und Bürgerschreck, ist zwar nur eine der zentralen Figuren in Michael Glawoggers neuem Spielfilm Slumming , aber er zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Das liegt zum einen daran, dass er von Paulus Manker verkörpert wird – der dabei von seiner Persona als Enfant terrible des Kulturbetriebs alles andere als absieht. Kallmann ist für Manker mehr Performance als Rolle – eher Implosion als Einverleibung.

Beispielsweise pöbelt er in offenbar semidokumentarischen Szenen Passanten auf der Mariahilfer Straße an. Dass Kallmann jemand ist, den diese lieber ignorieren, als sich mit ihm auseinanderzusetzen, ist dabei weniger wichtig. Was zählt, ist die komische Dynamik – so man das denn komisch findet –, die soziale Missachtung bei ihm bewirkt: Er wird immer tobender und unflätiger. Er ist kaum mehr zu bremsen. Kallmann ist eine One-Man-Show. Ein Spektakel an Wiener Hässlichkeit.

Aber Slumming lässt es dabei natürlich nicht bewenden. Wie in anderen neueren heimischen Spielfilmen wird Wien zum Kreuzungspunkt von Figuren unterschiedlicher Milieus. Glawogger macht das deutlich, indem er seinen Film nach einer sozialen Praxis ausrichtet: Beim Slumming geht es darum, seine Kampfzone zu erweitern. Sebastian (August Diehl) und Alex (Michael Ostrowski), zwei junge Männer mit viel Freizeit, suchen bevorzugt Orte auf, die unter ihrer Schicht liegen, um "Menschen zu treffen, die man sonst nie treffen würde": Zwielichtige Spelunken, Rotlichtbars, Discos mit hohem Ausländeranteil.

Amoralische Spiele

Weil sie glauben, dass sie besser sind, machen sie sich daraus ein Spiel – und brechen mit spätpubertären Späßen die Konventionen. Sebastian, als Deutscher in Wien fremd, geht mit seinen zynischen Aktionen noch weiter. Er trifft sich mit Frauen, hört dann gelangweilt ihren ausufernden Monologen zu und fotografiert sie unter die Röcke. Sein amoralisches Tun zielt auf die Mitwirkung des Zufalls. Er setzt die Dinge in Gang, schert sich aber nicht darum, was dabei herauskommt.

Als Sebastian und Alex eines Nachts des sturzbetrunken Kallmann ansichtig werden, packen sie ihn in den Kofferraum und führen ihn über die Grenze nach Tschechien. Durch diese Aktion geraten in Slumming die verschiedenen Figuren und Wertesysteme in Austausch. Kallmann, der Urwiener, ist mit einem Mal in der Fremde, aber nicht diese Erfahrung bringt ihn zur Einsicht. Es ist vielmehr die Konfrontation mit den eigenen Dämonen, für die stellvertretend Gartenzwerge, die Jungfrau Maria und ein Bambi stehen, die er auf dem Weg zurück nach Wien passiert.

Schon die nächtliche Hauptstadt rund um den Gürtel, wo Jugendkultur, Halbwelt und migrantische Viertel nahe beieinander liegen, hat in Slumming mehr von einem subjektiven Erfahrungsraum. Glawogger und seine Drehbuchautoren (darunter Barbara Albert) arbeiten mit künstlichen Figuren, die ihre moralischen Standpunkte weniger ausagieren, sondern überspitzt vertreten. Dabei wirken sie eher skurril als bedrohlich.

Es sind zwar Frauen, die in Slumming eine Gegenbewegung herbeiführen, Pia (Pia Hierzegger), die herzensgute Lehrerin, und eine Prostituierte (Maria Bill), die Kallmann zur Seite steht. Anders als die Männer bleiben sie jedoch auf Stereotype festgelegt – die brave Korrektur zum entfesselten Widerpart, der mehr Schauwert garantiert. Nicht umsonst liegt über dem Abspann noch einmal Kallman wie eine Erinnerungsfunktion: "Foahrscheine? I brauch kan Foahrschein!" Jetzt haben wir uns das gemerkt. (Dominik Kamalzadeh/ DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.11.2006)