Die Auslandsschulden gehören zu den größten Bremsfaktoren für die Entwicklung Ecuadors - das Thema spielte daher auch im Wahlkampf eine wesentliche Rolle, so Carlos Mendéz. Der Spielraum in dieser Frage sei jedoch eng - auch wenn der Linkskandidat Correa die Wahl gewinnen sollte.

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Ende November fand die zweite Runde der Präsidentenwahl in Ecuador statt: Der Bananen-Tycoon Noboa setzt auf die allgemeine Unzufriedenheit und Wählerbeeinflussung, erklärt Carlos Méndez, der Obmann der ecuadorianisch-österreichischen Solidaritätsgemeinschaft, im derStandard.at- Interview . Der Linkskandidat Rafael Correa hingegen könnte mit linksgerichtetem Populismus punkten: Kein Freihandelsabkommen mit den USA, Auflösung des Parlaments und Gründung einer verfassungsgebenden Versammlung, Grund und Boden für Arme, usw. Diese Rezepte mögen populär sein - Chancen auf Durchsetzung sieht Méndez jedoch kaum. Die Fragen stellte Heidi Weinhäupl.

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derStandard.at: In der Stichwahl tritt der Bananen-Milliardär Alvaro Noboa gegen den Linkskandidaten Rafael Correa an. Kurz auf den Punkt gebracht: Welche Interessen verfolgen die beiden Konkurrenten mit ihrer Kandidatur, für welche politischen Ziele treten sie ein?

Carlos Méndez: Correa ist ein linksgerichteter Populist. Er verspricht eine grundlegende Staatsreform, Korruptionsbekämpfung, die Neuverhandlung der Auslandsschulden, die Abschaffung des US-Dollars als Handelswährung in Ecuador und eine gemeinsame Südamerika-Währung. Zudem lehnt er das derzeit viel diskutierte Freihandelsabkommen mit den USA strikt ab, fordert Grund und Boden für die Bauern, eine höhere Beteiligung des Staates an den Erdölexporteinnahmen, etc.

Noboa dagegen lehnt all diese Ansichten radikal ab. Er will die Menschen mit Wohnungen versorgen: Er verspricht 365.000 Häuser pro Jahr für arme Menschen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, eine Stärkung der Rolle der Landwirtschaft, Förderung des Tourismus, eine Verbesserung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA.

derStandard.at: Noboa tritt insgesamt zum dritten Mal bei einer Präsidentenwahl an. Sein klarer Vorsprung vor Correa in der ersten Runde hat die AnalystInnen überrascht. Worauf führen Sie seinen Erfolg zurück?

Méndez: Keiner der KandidatInnen konnte so viel Geld in die Wahlwerbung investieren wie er. Seine Kampagne hat sofort nach seiner Wahlniederlage vor drei Jahren gestartet. Zudem profitiert er von der allgemeinen Unzufriedenheit der Menschen mit der politischen Klasse des Landes.

derStandard.at: Noboa soll Geld, T-Shirts, Schuhe und sogar Computer an die WählerInnen verschenkt haben. Wahlbestechung im großen Stil?

Méndez: Nicht nur das. Er hat auch Lebensmittel, Arzneien und zuletzt sogar Rollstühle unter den Massen in den Armenvierteln verteilt. Die Mehrheit der EcuadorianerInnen lebt in Armut, hat keinen Zugang zu Arbeit, Bildung und medizinischer Versorgung. Genau diese Mehrheit entscheidet, wer die Wahl gewinnt. Das weiß Noboa sehr genau, und er versucht sie auf diese Weise zu beeinflussen. Zum Teil geht seine Rechnung auf.

derStandard.at: Der Wirtschaftswissenschafter Correa wetterte im Wahlkampf gegen die von ihm "Partidokratie" genannte Parteienlandschaft Ecuadors und kündigt die Auflösung des Parlaments sowie eine verfassungsgebende Versammlung an. Wie schätzen Sie diese Ankündigungen ein?

Méndez: Viele Menschen finden seine Ideen gut. Das ist der Grund, warum er in die Stichwahl gekommen ist: Die Menschen wollen Veränderungen sehen, die zu mehr Gerechtigkeit führen. Die Auflösung des Parlaments ist ebenfalls eine populäre Idee. Die Frage ist, wie und mit welchen Verbündeten er all das erreichen will. Seine Partei verfügt über keinen einzigen eigenen Parlamentarier. Noboa hingegen hat sich nach seinem Erfolg in der ersten Runde einer Mehrheit im Parlament versichert. Ob sich daher bei einem Wahlsieg Correas eine Mehrheit für die Auflösung des Parlaments findet, ist mehr als fraglich.

derStandard.at: Internationale Finanzkreise betrachten Correas Ankündigung, die "illegitimen Auslandsschulden" nicht mehr zu bedienen, als gefährliche Drohung – sie würden daher einen Sieg Noboas unterstützen. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Méndez: Neben der Korruption gehören die Auslandsschulden zu den größten Bremsfaktoren für die Entwicklung des Landes. Eine Neuverhandlung wäre ein sinnvolles politisches Projekt. Doch eine einseitige Entscheidung, die Schulden nicht mehr zu zahlen, halte ich für sehr problematisch. Hier droht ein wirtschaftlicher Schaden, der größer ist als ein zu erwartender Gewinn. Das Land ist einfach von den internationalen Finanzorganisationen abhängig. Die wahren Profiteure der Auslandsschulden sind die ecuadorianischen Oligarchen – sie würden daher alles tun, damit die Schulden weiterhin gezahlt werden. Der Aktionsradius ist für Correa in dieser Frage sehr eng.

derStandard.at: Wo liegen die jeweiligen Hochburgen der Kandidaten? Welcher der Kandidaten kann am ehesten auf die Wählerstimmen des abgesetzten Ex-Präsidenten Lucio Gutierrez zählen?

Méndez: Lucio Gutierrez hat bereits seine Anhänger aufgerufen, ihre Stimme für Noboa abzugeben. Beide Parteien haben auch eine parlamentarische Allianz angekündigt. Während Noboa alle seine Karten auf Guayas und Manabí setzt, die beiden größten Provinzen des Landes, hofft Correa in den Andenprovinzen zu gewinnen.

derStandard.at: Der "Faktor Venezuela" hat bei den Wahlen in Bolivien, Mexiko und auch Nicaragua eine Rolle gespielt. Ist die Diskussion um Chávez und Morales auch in Ecuador von Bedeutung?

Méndez: Allerdings. Correa gibt an, ein Freund vom Chávez zu sein und Chávez hat, wie bei ihm üblich, offen seine Präferenzen für Correa kundgetan. Das kommt allerdings in Ecuador nur in der linken Szene gut an.

derStandard.at: Noboa ist für den Abschluss eines Freihandels-Abkommens mit den USA – Correa dagegen. Wem würde ein derartiges Abkommen nützen, wem schaden?

Méndez: Oberflächlich betrachtet, würde das Abkommen viele Vorteile für das Land bringen. Dennoch zeichnen sich Handelsabkommen mit den USA historisch betrachtet dadurch aus, dass sie das jeweilige Land in eine weitere Abhängigkeit bringen. Zudem profitiert meist nur eine kleine Schicht, nämlich die reiche Elite des Landes. Daher befürworten in Ecuador eher die Reichen das TLC (Tratado de Libre Comercio) mit den USA, während die Mittelschicht und die unteren Einkommensklassen skeptisch bis ablehnend sind. Zudem läuft dieses Abkommen den Bestrebungen für eine wirtschaftliche Integration der lateinamerikanischen Staaten zuwider.

derStandard.at: Als erste Indigena-Partei in einer Regierung – der des 2005 gestürzten Lucio Gutierrez – machte die Pachakutik vor einigen Jahren von sich reden. Wie erging es dieser Partei seither?

Méndez: Sie sind rechtzeitig aus der Regierung von Lucio Gutierrez ausgestiegen. Dennoch war die Unterstützung dieser Regierung ein Fehler. Gutierrez hat die indigene Bevölkerung verraten – keines seiner Versprechen ihnen gegenüber wurde eingelöst. Die Pachakutik als politische Vertretung der Indios von Ecuador ist derzeit in einer sehr schlechten Lage. Sie hat die Wahlen deutlich verloren. (derStandard.at, 23. November 2006)