Damit den Stahlkochern nicht das Häferl übergeht, werden Produktionsprozesse durch neue IT-Werkzeuge flexibler gemacht.

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In modernen Stahlwerken wie denen des Linzer Konzerns Voestalpine Stahl GmbH spielt moderne Informationstechnologie eine immer größere Rolle. Das Software Competence Center Hagenberg hilft dem Konzern mit Forschungskompetenz bei der Verfahrenstechnik.


Seitdem sich sowohl Preise wie auch Produkte im internationalen Wettbewerb immer mehr angleichen, muss sich ein Unternehmen durch Innovation im Wettbewerb unterscheiden. Innovation ist heute aber nicht nur im Produkt, sondern auch im Produktionsprozess überaus wichtig. "Wir helfen Voest dabei, besseren Stahl zu produzieren", berichtet Gerhard Leonhartsberger, Area Manager Software Technology beim Software Competence Center Hagenberg (SCCH).

Kurz etwas zum Hintergrund bei der Stahlerzeugung: Nach dem Zweiten Weltkrieg führte Voest in Linz eine neue Technik zur Stahlerzeugung ein. Die Vorarbeiten dazu hatten Metallurgen in Österreich, Deutschland und der Schweiz geleistet. Das Linz-Donawitz-Verfahren (LD) löste ältere Methoden zur Stahlerzeugung ab. Beim LD-Verfahren wird in einem feuerfesten Tiegel flüssiges Roheisen durch Aufblasen von reinem Sauerstoff zu Stahl umgewandelt.

Verschiedene Muster

In der Stahlerzeugung werden heute alle Prozesse - wie etwa der Schmelzprozess oder der Auskühlprozess - durch verfahrenstechnische Modelle gesteuert. Hier kommen je nach zu erzeugender Qualität verschiedene Muster zum Einsatz. Moderne Computerprogramme steuern bereits seit rund 20 Jahren die Stahlerzeugung. Die Modelle dafür werden von den einzelnen Unternehmen als Betriebsgeheimnisse gehütet. Auch für die Voestalpine Stahl GmbH (VAS) bedeuten sie eine wesentliche Kompetenz, die sie von den Wettbewerbern unterscheidet. Denn sie entscheiden über die Qualität des erzeugten Stahls und damit auch über den Einsatzort und den zu erzielenden Preis. "Vor rund einem Jahr haben wir zusammen mit der VAS und der Firma ABF - Industrielle Automation damit begonnen, die Laufzeitplattform, die die Produktion steuert, durch eine modernere Variante abzulösen", sagt Leonhartsberger. Denn die über Jahrzehnte gewachsene Plattform bot nicht mehr die nötige Flexibilität, die Fachleute von modernen Software-Systemen erwarten.

Wesentliche Anforderung war dabei unter anderem eine "Hot-Plug-in-Fähigkeit" - es sollte den Mitarbeitern möglich sein, ein bestimmtes Modell, das die Produktion steuert, auszutauschen, ohne dafür den gesamten Prozessrechner herunterfahren und die Produktion stoppen zu müssen. Das neue System sollte in der Lage sein, Änderungen so praxisnah wie möglich zu simulieren und die verwendeten Modelle aufzuzeichnen, um bei erfolgreichen Änderungen eine Rückverfolgung zu ermöglichen. "Das neue Tiegelmodell wird parallel zum bestehenden in den Prozess gegeben. Bevor es zur Produktion kommt, wird es angehalten", erklärt Leonhartsberger.

Geringes Risiko

Die einzelnen Modelle können mithilfe der neuen Plattform ohne allzu großen Änderungsaufwand und damit ohne hohes Geld- und Zeit-Risiko als zusätzliche Komponente in die Laufzeitumgebung hineingesteckt und so in der Praxis(-Simulation) getestet werden. Bei der Entwicklung der neuen "Tiegelmodell-Plattform", die die Anforderungen der Zukunft, wie etwa die Hot-Plug-in-Fähigkeit im Prozessindustrie-Bereich erfüllt, setzen die Fachleute von SCCH, ABF und VAS auf die Implementierungsspezifikation OSGi (Open Services Gateway Initiative). Ein wichtiges Merkmal dieser Service-Plattform ist die Möglichkeit, dynamisch und kontrolliert Service-Anwendungen zur Laufzeit einspielen und auch wieder entfernen zu können. Das Modell der OSGi- Serviceplattform macht es so möglich, verschiedene weit gehend unabhängige und modulare Anwendungen parallel in derselben "virtuellen Maschine" laufen zu lassen und diese während des gesamten Lebenszyklus der Anwendung zu aktualisieren. Auch die heute von Programmierern oft verwendete Open-Source-Entwicklungsumgebung Eclipse baut auf der OSGi-Spezifikation auf; sie weist ebenfalls dieselbe Hot-Plug-in-Fähigkeit auf.

Für weitere Domänen

Die Entwicklung der Modell-Laufzeitumgebung (damit die Auswahl der Architektur bzw. der Implementierungsspezifikation) waren bei diesem Projekt Teil des Auftrags des SCCH. "Das gleiche Verfahren könnte in Zukunft auch für andere Domänen und Industrien zu einem wichtigen Thema werden", sagt Robert Baumgartner, Manager beim Software Competence Center Hagenberg. (Johannes Klostermeier/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.11. 2006)