Die Folgen des Klimawandels und die finanzielle Instabilität in der Weltwirtschaft machen Nobelpreisträger und Buchautor Joseph Stiglitz die meisten Sorgen.

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STANDARD: Sie sind ein Held jener Globalisierungsgegner, die den freien Handel grundsätzlich ablehnen und jubeln, wenn die Doha-Runde scheitert. Fühlen Sie sich wohl mit dieser Rolle?

Stiglitz: Die Globalisierungsgegner erfüllen einen wichtigen Zweck: Sie schaffen Bewusstsein, dass die Globalisierung, wie sie heute gemanagt wird, vielen Menschen in den Entwicklungsländern schadet - indem wir unsere Landwirtschaft subventionieren oder ihnen den Zugang zu lebensrettenden Medikamenten verwehren. Die meisten von ihnen glauben, dass sich die Globalisierung nicht ändern kann. Ich bin da optimistischer und zeige in meinem Buch, wie man die Globalisierung fairer gestalten kann. Das würde auch den Industriestaaten nützen.

STANDARD: Wie denn?

Stiglitz: Nehmen Sie etwa die US-Baumwollsubventionen. Es gibt nur 25.000 Baumwollfarmer, und die sind wohlhabender als die Durchschnitts- amerikaner. Amerikanische Steuergelder fließen hier von dern Ärmeren zu den Reichen. Auch die Abschaffung des Bankgeheimnisses zur Eindämmung der Steuerflucht würde nur wenigen reichen Banken schaden. Aber Amerika und Europa würde es insgesamt besser gehen.

STANDARD: Aber brauchen wir nicht gerade deshalb einen Erfolg in der Doha-Runde? Sie soll ja gerade den Entwicklungsländern nützen.

Stiglitz: Doha wird als Entwicklungsrunde bezeichnet, was sie nicht ist. Sie würde den armen Ländern fast nichts bringen. Aber nach einem Abschluss könnten die Verhandler sagen: Jetzt hatten wir eine Entwicklungsrunde, das nächste Mal können wir die Regeln wieder unfairer gestalten.

STANDARD: Viele Ökonomen warnen vor einem Rückfall in den Protektionismus, wenn Doha scheitert.

Stiglitz: Eine Rückkehr zum Protektionismus ist nicht möglich, denn die Regeln des Welthandels sind rechtlich festgeschrieben. Wir haben ein Patt, solange die USA und die EU sich nicht einigen können, wie es mit der Landwirtschaft weitergeht, aber wir fallen nicht zurück.

STANDARD: Stattdessen gibt es immer mehr bilaterale Handelsabkommen.

Stiglitz: Ja, das ist eine Gefahr, die vor allem von den USA ausgeht. Bilaterale Abkommen führen zu mehr Diskriminierung und zerstören das internationale Handelssystem. Aber das Gute am Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen ist die Stärkung des Multilateralismus. Es wird weniger bilaterale Handelsabkommen geben.

STANDARD: Die Demokraten sind allerdings protektionistischer als die Republikaner.

Stiglitz: Die Republikaner sagen immer, dass sie an Freihandel glauben, tun es aber nicht. Das Hauptproblem des Welthandels sind die Agrarsubventionen, die wir in der Clinton-Regierung versucht haben, weit gehend abzuschaffen. Die Republikaner haben sie verdoppelt.

STANDARD: Sie kritisieren vor allem die USA. Was ist mit Europa?

Stiglitz: Europa hat schon viel zu einem faireren Weltwirtschaftssystem beigetragen. Es öffnet im "Alles au- ßer Waffen"-Programm seine Märkte für 48 der ärmsten Länder und fordert von ihnen nicht das Gleiche. Das ist ein entscheidender Schritt für den Welthandel. Europa tut etwas gegen den Klimawandel, nimmt "Corporate Social Responsibility" ernst und sind die Ersten beim Schuldenerlass.

STANDARD: Wird das nicht alles durch die hohen EU-Agrarsubventionen zunichte gemacht?

Stiglitz: Nur zum Teil. Was die Welt heute am meisten braucht ist demokratischer Multilateralismus, und da ist Europa führend.

STANDARD: Was bereitet Ihnen in der Weltwirtschaft am meisten Sorgen?

Stiglitz: Längerfristig die Folgen des Klimawandels, mittelfristig die finanzielle Instabilität. Das globale Finanzsystem ist brüchig. Der Dollar ist die Reservewährung, aber keine stabile Währung. In einer multilateralen Welt darf die Wirtschaft nicht von einem Land abhängig sein. Wenn dort ein schlechter Präsident gewählt wird, der schlechte Politik betreibt, dann leidet die ganze Welt.

STANDARD:China und andere asiatische Staaten häufen immer mehr Dollar-Reserven an. Müssten sie nicht vor allem ihre Politik ändern?

Stiglitz: Das geschieht bereits. China beginnt, seine Sparquote zu senken und die Binnennachfrage zu erhöhen. Aber wer wird dann das riesige Defizit in der US-Leistungsbilanz finanzieren? Es ist leichter für Chinesen, ihre Nachfrage zu erhöhen, als für Amerikaner, ihren Konsum zu dämpfen.

STANDARD: Haben Sie darauf eine Antwort?

Stiglitz: Nein, und deshalb erwarte ich für die kommenden Jahre viele Turbulenzen.

Zur Person

Joseph E. Stiglitz (63) war in den 90er-Jahren Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung und danach Chefökonom der Weltbank. 2001 erhielt er für seine Arbeiten über asymmetrische Informationen in der Ökonomie den Wirtschaftsnobelpreis. Sein neues Buch "Die Chancen der Globalisierung" ist beim Siedler-Verlag erschienen. Stiglitz-Kolumnen erscheinen regelmäßig im Standard. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.11.2006)