Konrad Kramar, Georg Mayrhofer:
"... und keiner sang die ,Reblaus'",
€ 19,95/206 Seiten, Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2006.

Buchcover: Ueberreuter
Im Gemoll, dem großen, grünen, dicken Schul- und Handwörterbuch , ist der "Mythos" gar nicht leicht aufzustöbern, wenn man sich nach fast zwanzig Jahren vom altgriechischen Alphabet nur die ersten paar Buchstaben gemerkt und kein(en) Tau mehr vom Theta hat. Fündig wird man schließlich auf Seite 512, zweite Spalte. Hier wird der Mythos mit erstens Wort, Rede, Erzählung, Gespräch übersetzt und mit zweitens Gerücht, Erdichtetes. Klar, dass die Grenzen zwischen eins und zwei oft fließend sind, schließlich fließt alles, diesbezüglich haben schon der Panther und das Reh so manche Eselsbrücke gebaut.

Konrad Kramar, Außenpolitikredakteur beim Kurier, und Georg Mayrhofer, Regieassistent bei Film und Fernsehen, liefern in . . . und keiner sang die "Reblaus" also selbst quasi Mythen ab, Erzählungen, elf an der Zahl. Vor allem aber gehen sie Mythen, Erdichtetem, auf den Grund. Untertitel: Die Wahrheit über Leopold Figl, Andreas Hofer und andere österreichische Mythen. Was an diesen Mythen, wovon die Autoren ausgingen, "erstunken und erlogen - und damit manchmal besonders österreichisch ist", haben sie recherchiert und herausgefunden. Elfmal. Anspruch auf rot-weiß-rote Mythen-Vollständigkeit wird nicht gestellt, kann gar nicht gestellt werden, schließlich werden der Mythen beinah täglich mehr.

Wahr oder falsch, das ist die Frage, die dem Leser zunächst gestellt wird. Hat Figl die Russen eingetrankelt und mit dem Lied von der Reblaus den Staatsvertrag erstritten? War Karl Schranz ein Opfer sportpolitischer Intrigen? Mozart ein armer Schlucker? Andreas Hofer ein heldenhafter Freiheitskämpfer? Ist die Neutralität tatsächlich Schmuckstück der österreichischen Identität? Ist das Burgtheater immer schon höchsten Ansprüchen gerecht geworden, mit "entrückten Mimen, nur der Sprache und der Kunst verpflichtet"?

Na ja, nein, keineswegs - ist man da und dort versucht zu antworten, doch wirklich festmachen kann man es vielfach nicht. . . . und keiner sang die "Reblaus" ist in diesem Sinn auch als Nachschlagwerk zu verstehen. Die schöne alte Zeit in Wien, sie ist so schön nicht gewesen, und die Stadt kein Schmuckkasterl, über dem ein gütiger Kaiser thronte. Franz Joseph I. ist ein eigenes Kapitel gewidmet, Titel: "Der gute, alte Massenmörder." Des Kaisers Thron, stellt sich heraus, "stand auf einer Blut- lache." Zwar sei "der engherzige Herrscher kein Monster" gewesen, aber doch "mit der kindlichen Liebe zum Militär letztendlich für Millionen Tote verantwortlich". Und das Burgtheater? "Hollywood der Gründerzeit!"

Österreich hat, wie auch Kramar und Mayrhofer betonen, in seinen Schicksalsfragen stets zwei Antworten gefunden. Entweder trugen andere die Schuld am glorreichen Untergang, oder aber ein Held betrat die Bühne und trickste alle aus, indem er auf Loki machte oder, noch besser, auf Odysseus.

Das ist übrigens seinerzeit, vor mehr als 20 Jahren, im Kleinen auch so ein Mythos gewesen, dass man mit Altgriechisch und mit dem großen, grünen, dicken Gemoll und mit dem Tau und dem Theta noch viel wird anfangen können im Leben. Französisch zu wählen, wär' natürlich g'scheiter gewesen. Aber nachher weiß man es ja immer besser. (Fritz Neumann/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.11.2006)