Ungarns China-Community macht Budapest immer mehr zum Umschlagplatz Nummer eins für Güter aus Fernost. Dick im Geschäft: Strabag und Raiffeisen mit ihrem „Asia-Center“

Foto: Stuiber
Budapest – Auf den ersten Blick sieht alles ganz normal aus: Eine riesige zweistöckige Shoppingmall steht mitten im Budapester 16. Bezirk Ujpalota, davor hunderte Parkplätze, eine Bushaltestelle, geschäftiges Treiben.

Auf den zweiten Blick wirkt die Szenerie schon etwas befremdlicher: Vor der Mall, auf einer gut 10 Meter hohen, kitschig verzierten Marmorsäule, erhebt sich ein geflügeltes Pferd. Ein wenig dahinter, gleich neben dem Eingang, zwei weitere Säulen, auf denen zwei stilisierte Adler Platz genommen haben. Die Adler und das geflügelte Pferd sind im Winkel exakt auf die Chakras ausgerichtet – Energiepunkte, die nicht nur für körperliches Wohlbefinden, sondern offensichtlich auch für gute Geschäfte sorgen sollen. General Manager Rupert Riedl, ein Österreicher, hat die tonnenschweren Säulen herankarren lassen. Sie schmücken das, streng nach Feng-Shui-Regeln erbaute „Asia Center“, den Umschlagplatz Nummer 1 für chinesische Handelsgüter aller Art in Mitteleuropa.

Chinatown im Einkaufszentrum

In modern-minimalistischen Kojen reiht sich ein Textilladen an den anderen, China-Porzellan, Schuhe, goldene Löwen und Elektronik-Ramsch werden hier sowohl an den Einzelhändler als auch an Privatkunden verkauft. In den Gängen zwischen den Shops formieren sich auf elegantem Marmorfußboden in Viererreihen die Ständer mit Billigjeans, dazwischen zwängen sich mit Begeisterung die Budapester durch. Wer hier einkauft, hat kein besonders üppiges Haushaltsbudget: Alles ist hier um gut zwei Drittel billiger als etwa in der Budapester Innenstadt. 400 chinesische Händler haben sich auf supermodernen 118.000 Quadratmetern eingemietet, die Auslastung des „Asia Centers“ beträgt im dritten Jahr bereits 90 Prozent. Weitere Ausbaupläne – mit einem riesigen Konferenzzentrum und Büroräumlichkeiten – sollen schon im nächsten Jahr realisiert werden.

Riedls Chefs sitzen in Österreich – Strabag-AG-Eigentümer Hans Peter Haselsteiner und die Raiffeisen-Evolution-Gruppe (Raiffeisen Zentralbank, Uniqa und Strabag AG). 200 Millionen Euro haben die Österreicher in die Budapester Mall investiert. Denn die besten Geschäfte macht man in Ungarn derzeit mit den Chinesen.

30.000 bis 60.000 Chinesen leben in Ungarn, so ganz genau weiß das niemand. Das Statistische Zentralamt spricht von 15.000 Auslands-Chinesen in Budapest, auch diese Zahl wird von offiziellen ungarischen Stellen bezweifelt. Viele sind schon seit 1988 da. Damals schlossen die ungarischen Kommunisten mit der chinesischen Regierung ein Handels-Abkommen, das so dürftig ausfiel, dass man sich schon aus optischen Gründen entschloss, wenigstens Visafreiheit zwischen den beiden Ländern einzuführen. Zehntausende Chinesen kamen, erst recht nach dem Massaker am Tienanmen-Platz ein Jahr später.

Von der Folklore zum Business

Erst gab es in Budapest nur den „kínai pica“, den Chinesischen „Vier-Tiger-Markt“ auf dem ehemaligen Frachtenbahnhof im Osten Budapests. Aus hunderten Container-Shops und windschiefen Etablissements mit Millionen von kopierten Markenartikeln, billigem Elektronik-Ramsch und Haushaltswäsche und -waren ist der bedeutendste europäische Handelsumschlagplatz für chinesische Importgüter geworden. Von Budapest aus beliefern chinesische Groß- und Zwischenhändler ihre Kollegen in Polen, der Ukraine, den Niederlanden, aber auch Konzern-Multis wie etwa C&A mit Kleidern und Schuhen.

China exportierte im Vorjahr Waren im Wert von vier Milliarden US-Dollar nach Ungarn, zwei Drittel davon wurden sofort re-exportiert. Die Wachstumsraten für den Handel mit China betragen 10 Prozent pro Jahr. Neben den eher folkloristisch anmutenden „Tiger-„ und „Drachen“-Märkten in der Nähe des Ostbahnhofs wuchs vor drei Jahren das gigantische „Asia Center“ aus dem Budapester Boden. Ganz offiziell wird hier der Großteil des Handels von und mit China betrieben – und versteuert.

Längst haben die neuen Kapitalisten aus Fernost nicht mehr den Hautgout der 90er-Jahre. Damals war von Schutzgeld-Erpressungen in großem Stil die Rede, von fünf organisierten Gruppen, die für die mafiaähnlichen Triaden arbeiten sollten. Einige Dutzend chinesischer Familienverbände befehdeten einander, illegales Glücksspiel florierte, Morde geschahen, Leichen verschwanden. Die Polizei stieß auf eine Mauer des Schweigens. Eigens gegründete chinesische Firmen hatten Ausreisewillige in der Heimat schriftlich eingeladen und ihnen Anstellungsverträge geschickt – die Voraussetzung für eine Ausreise-Bewilligung. In Ungarn angekommen, mussten sie für ihre „Gastgeber“ Fronarbeit leisten, wenn sie die „Einladung“ nicht bezahlen konnten.

"VIP-Projekt"

Das sei Schnee von gestern, solche Probleme habe man im „Asia Center“ nicht, sagt Riedl. Sein Haus gilt als „VIP-Projekt“ für die ungarischen wie die chinesischen Behörden. Das Center unterhält Büros in Peking, Schanghai und Hongkong sowie in Hanoi, Saigon und Jakarta. Dort werden ganz offiziell Firmen für Budapest angeworben. China ist daran interessiert, Eigenmarken in Europa zu platzieren, die ungarische Regierung ist mit Besuchsvisa behilflich, und Riedl lässt von einer Security-Firma kontrollieren, dass seine Shops nicht illegal untervermietet werden. „Wer sein Geschäft aufgibt, verliert die Aufenthaltsbewilligung.“

Unternehmertum ist für Auslands-Chinesen jedenfalls Familiensache. Das bemerkt man auch in der ungarisch-chinesischen Grundschule in Budapest, wo 126 Kinder bilingualen Unterricht bekommen, darunter 100 chinesische Einwanderer-Kinder. Schulleiterin Klara Lindner berichtet, dass die chinesischen Kids außerhalb der schulischen Aktivitäten kaum Sozialkontakte zu ihren ungarischen Kollegen pflegen. „Chinesische Familien kennen eben kein Wochenende.“ (Petra Stuiber, DER STANDARD Printausgabe, 18./19.11.2006)

Das „Asia Center“ in Budapest wurde von Strabag und Raiffeisen Evolution realisiert und _finanziert. Es entwickelt sich zum Top-Umschlagplatz für Güter aus Fernost. Foto: Stuiber

Die chinesisch-ungarische Schule ist ein _Pilotprojekt. Nicht nur Einwanderer-Kinder werden bilingual unterrichtet. Foto: Stuiber