Bild nicht mehr verfügbar.

Puskás im Jahre 2003, als Ungarn den 40. Jahrestag des 6:3 in Wembley feierte.

Foto: APA/EPA
Budapest – Hier zu Lande ist er mit martialischem Respekt "Major" genannt worden. Daheim, in Ungarn, riefen sie Ferenc Puskás jovial "Öcsi", also "kleiner Bruder". Wahrscheinlich deshalb, weil der Puskás Ferenc nicht nur ein Fußballspieler gewesen ist, sondern auch eine Herzensangelegenheit, und diesbezüglich verstehen die Ungarn ja bekanntermaßen keinen Spaß. Puskás war nicht bloß der auf seinen Linken beschränkte und dennoch allseitig gefährliche Verbinder der "arany csapat", der goldenen magyarischen Mannschaft der 50er Jahre. Er war deren unbestrittene Verkörperung, obwohl der eigentliche Chef des zentraleuropäischen Dreamteams fraglos Nándor Hidegkuti war.

Puskás wurde am 2. April 1927 in den Budapester Stadtteil Kleinpest hineingeboren. Dort ist er nicht nur auf-, sondern auch in den Fußball hineingewachsen. Gefördert vom Vater, spielte er ab 1943 beim lokalen Verein Kispest. Und als der nach dem Krieg in Honvéd (Heimatschützer) umbenannt wurde, blieb er dort, startete so seine "militärische Karriere", die ihn bis zum Oberst geführt hat, und um ihn herum wurde Ungarns Serienmeister formiert. Sechs Kronen en suite erntete der Armeeklub.

In dieser Zeit formierte Gustáv Sebes Europas – wenn nicht der Welt – bestes Nationalteam. Seit Olympia 1952 vergoldet, nannten die Magyaren sie "arany csapat". Diesem Namen gerecht wurde das Team am 25. November 1953 in Wembley. England erlitt die erste Heimniederlage. Und die fiel mit 3:6 so deutlich aus, dass das Retourmatch im Frühjahr 1954 – das 7:1 von Budapest – keine große Überraschung mehr war.

Die lieferten die Deutschen kurz darauf im WM-Finale von Bern. Sie wurden Weltmeister. Österreichs Friedrich Torberg rief entsetzt: "Das ist das Ende der Poesie im Fußball." Willy Meisl, der schreibende Bruder des Wunderteamchefs, blieb gelassen: "Regen Sie sich nicht auf, es ist nur das Ende des Hexameters." Und zwar in vielerlei Hinsicht: Die enttäuschten Budapester demonstrierten bei der Rückkehr der geschlagenen "arany csapat" und übten so für 1956, jenes Jahr, das nicht nur, aber auch das Ende des mitteleuropäischen Fußballs markierte.

Ungarische Fußballmannschaften logierten in Wien, und von hier aus zerstreuten sich die Spieler in die ganze Welt. Puskás startete als 31-Jähriger bei Real Madrid seinen zweiten Frühling. Gemeinsam mit Alfredo di Stefano führte er die Königlichen zu fünf nationalen Meistertiteln und drei Europacupsiegen. Seinen 83 ungarischen Länderspielen fügte er hier noch vier für Spanien an. In Summe erzielte Puskás mehr als 600 Tore.

Anfang der 90er Jahre kehrte er von seiner Trainerodyssee durch die ganze Welt hoch verehrt nach Ungarn zurück, wo er für kurze Zeit auch den Posten des Verbandskapitäns übernahm. Dann aber widerfuhr ihm das Schlimmste, das einem wie ihm widerfahren kann: Er fing an zu vergessen. Alzheimer machte ihn zum jahrelangen Pflegefall, am Freitag starb er in einer Budapester Klinik an den Folgen einer Lungenentzündung. Mit Puskás aber starb auch eine Epoche. Die, in der Fußball im Versmaß des Hexameters gespielt wurde. (Wolfgang Weisgram - DER STANDARD PRINTAUSGABE 18./19.11. 2006)