Zwei Seiten lange Begründung des heutigen Bundespräsidenten im SP-Organ für Kreiskys Minderheitskabinett.

"All diese Zusicherungen und Zugeständnisse betrachteten die Unterhändler der Volkspartei als nicht weit gehend genug. Sie zeigte sich in den offen gebliebenen Sachfragen . . . unnachgiebig, erklärten den Tausch des Landwirtschaftsministeriums gegen das Innenministerium ... als ,unabdingbar' und trieben die Frage der Ausschuß- parität auf die Spitze."

Solches schrieb ein SPÖ-Klubsekretär Ende April 1970 nach dem Wahlsieg Bruno Kreiskys in einem Artikel für die Parteizeitung "Die Zukunft". Der Autor: Heinz Fischer, heute Bundespräsident.

Fischer erlebte damals die Verhandlungen mit ÖVP-Obmann Hermann Withalm hautnah mit. Was Fischer empörte war, dass die ÖVP bei den Wahlen am 1. März 1970 um 160.000 Stimmen weniger erreicht hatte als die SPÖ und dennoch verlangte, gleichberechtigt zu sein.

Fischers Schlussfolgerung damals: Die SPÖ-Minderheitsregierung, die seit 21. April im Amt war, sei die einzige Möglichkeit gewesen, überhaupt zu einer Regierung zu kommen. Dabei sei sie aber nicht nur "ein Experiment, in das wir hineingestolpert sind", sondern auch "eine großartige Chance, wie sie die Sozialisten in Österreich noch nie hatten, der ein Risiko gegenübersteht, das kaum größer ist als in einer Koalitionsregierung". (stui, DER STANDARD, Printausgabe 17.11.2006)