Die Ukraine sorgte in der aktuellen Osteuropa-Prognose für Überraschungen

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Wien – Fast durchwegs schätzt das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) die Entwicklungen der Ökonomien in Ost-, Süd- und Mitteleuropa besser ein als noch im Sommer. „Und das trotz einiger politischer Turbulenzen“, sagte der stellvertretende Institutschef Peter Havlik am Dienstag bei der Präsentation der Zahlen. Tschechien hat seit fast einem halben Jahr keine Regierung, in Polen und in Ungarn ist die Nation politisch gespalten, in der Slowakei wird die Infrastrukturprivatisierung gestoppt – trotzdem: „Das Wachstum ist derzeit unbeeinflusst von der Politik. Und offensichtlich sind die ausländischen Investoren noch nicht verunsichert.“ Sogar für das von einer Budgetkrise gebeutelte Ungarn sind die Aussichten besser als zuvor, da die Sparpakete längerfristig angelegt wurden und so voraussichtlich nicht so viel Wachstum kosten werde, sagt Ungarn-Spezialist Sandor Richter.

Unwägbarkeiten

Jedoch blieben einige Unabwägbarkeiten in Osteuropa, die es zu berücksichtigen gilt: Da wäre einerseits die nach wie vor – im unterschiedlichen Ausmaß vorhandene – Korruption, die den WIIW-Forschern gemäß mit den Politwirren zusammenhänge. Dann wäre der latente Arbeitskräftemangel, der vor allem Polen trifft. Abertausende vor allem junge und qualifizierte Facharbeiter wandern nach Großbritannien und Irland aus (Stichwort „the polish plumber“), was im Heimatland in Boombranchen wie Autoindustrie oder Elektronik schwere Probleme verursacht.

Laut WIIW komme aber eine weitere Herausforderung auf die Regierungen, Behörden und Unternehmen in den neuen EU-Mitgliedsländern zu: Ab 2007 endet nämlich die „Phasing-In-Phase“ bei den Strukturförderungen der Europäischen Union. Das heißt: Ab dem nächsten Jahr haben die Länder vollen Zugriff auf die Fördertöpfe, die quasi über Nacht 2,5 bis drei Mal so groß wie derzeit werden.

Überpotenter "Marshall-Plan"

Sandor Richter von WIIW sieht dies einerseits als „historische Chance“, hier könne in Relation zu den Wirtschaftsleistungen der Länder mehr Geld verteilt werden, als nach dem zweiten Weltkrieg über den „Marshall-Plan“ der USA. Jedoch sieht das WIIW auch Probleme für die „Absorptionsfähigkeit“ für die Fondsmittel. Havlik erläutert: „Es fehlt das Know-how im Umgang mit EU-Behörden. Die Projekte müssen außerdem gut vorbereitet sein.“ Weiters müssen EU-Projekte stets kofinanziert werden, was mitunter der Budgetsanierung widersprechen könnte. Und es sind – auch in diesem Fall – Kriminalität und Korruption in so mancher Behörde Problemverursacher.

Für das Baltikum prognostiziert das WIIW indessen durchwegs höheres Wachstum als für die fünf mittel- und osteuropäischen Staaten. Außerhalb der EU feiert indessen die Ukraine ein Comeback, wo das Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent 2005 heuer auf 6,5 Prozent beschleunigt hat und 2007 um sieben Prozent zulegen dürfte. (Leo Szemeliker, DER STANDARD Printausgabe, 17.11.2006)