Norbert Walter (62), Chefökonom der Deutschen Bank.

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STANDARD: Sie waren eine der warnenden Stimmen vor einer großen Koalition in Deutschland. Kann denn politischer Stillstand eine an sich gut laufende Konjunktur bremsen?

Walter: Ich habe nicht hinter dem Berg gehalten, dass ich von großen Koalitionen nichts halte, dass man dadurch eher Konsenspolitik als couragierte Reformen erhält. Als ich die konkreten Schritte sah, habe ich gesagt, 2006 wird konjunkturell ein Superjahr, einmalig gut, es ist aber eben nur ein Jahr. Die Gründe sind die befristet eingeführte degressive Abschreibung, das Investitionsprogramm und die Ankündigung, dass die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte angehoben wird.

STANDARD: Sie haben für Deutschland heuer ein Wirtschaftswachstum von 2,25 bis 2,5 Prozent vorausgesagt, für 2007 lediglich 1,25 Prozent. Was bewirkt den markanten Rückgang?

Walter: Das ergibt sich für mich nicht nur aus der fehlenden Reformbereitschaft, sondern auch aus der Abschwächung der internationalen Konjunktur und der wahrscheinlichen Aufwertung des Euro.

STANDARD: Der Mehrwertsteuer-Effekt?

Walter: Der bewirkt, dass wir ein Loch im ersten Quartal bekommen werden. Ich habe beim Zuwachs des privaten Verbrauchs eine Null in der Prognose stehen, nach plus eins heuer.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt: "Die Deutschen sind Heulsusen." Gilt das noch immer?

Walter: Wir haben glücklicherweise diese Fußballweltmeisterschaft dazwischen gehabt. Das Urteil der anderen im Blick auf uns wurde aufgehellt. Da haben wir uns ja aus diesem Status herausgearbeitet. Unsere Gesichter sind heute entspannter, wenn auch nicht bei allen.

Standard: Also bringen gute Wirtschaftsdaten – etwa im Export oder in der Industrie – dem Gefühl vom Zustand eines Landes weniger als ein erfolgreiches Sportgroßereignis wie die WM?

Walter: Ja, das waren Wochen des Glücks.

ZUR PERSON: Norbert Walter ist seit 1990 Chefökonom der Deutschen Bank. . (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.11.2006)