Zur Person
Sebastian Schumacher ist Jurist und hat zusammen mit Johannes Peyrl den im ÖGB-Verlag erschienenen "Ratgeber Fremdenrecht" verfasst.

Foto: Standard/Corn
Den Jubel der Innenministerin über das Fremdenrechtspaket kann Jurist Sebastian Schumacher nicht nachvollziehen: "Österreich hatte vorher schon Defizite - und die wurden durch die neuen Gesetze noch verschärft". Ein rechtsstaatliches Verfahren, so Schumacher, ist durch drei Elemente gekennzeichnet - die richtige Entscheidung, Fairness und Effektivität. Alle drei Elemente seien im momentanen Asylverfahren nicht gegeben. Mit Anita Zielina sprach Schumacher über trügerische Asylzahlen, die Zwangsernährung als Schandfleck der österreichischen Rechtsordnung und notwendige Sofortmaßnahmen.

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derStandard.at: Innenministerin Prokop präsentierte eine Zehn-Monats-Bilanz des Fremdenrechtspaketes – ein Grund zum Feiern?

Schumacher: Nein, das sicher nicht. Zu den präsentierten Zahlen muss man mehrere Sachen festhalten: Das eine ist, dass die Zahl der Asylanträge tatsächlich zurückgegangen ist. Das ist ein europaweiter Trend. Zugleich steigen aber die Flüchtlingszahlen. Nur war der Rückgang der Anträge nie der Sinn des neuen Asylgesetzes – daher ist der Erfolg, der hier gefeiert wird, auch ein seltsamer: Das ist wie wenn ich feiere, dass es weniger Anträge auf Sozialhilfe gibt, aber nicht, weil die allgemeine Armut sich verringert hat, sondern weil die Zugangsvoraussetzungen verschärft wurden - nicht nachvollziehbar.

derStandard.at: Was sagen solche Zahlen überhaupt aus? Anders gefragt: Macht es überhaupt Sinn, auf Teufel komm raus Asylanträge zu minimieren?

Schumacher: Da muss die Regierung dann auch offen sagen – ich will möglichst wenige Flüchtlinge ins Land hineinlassen. Wenn das das ausgewiesene politische Ziel ist, das man mit einem restriktiven Verfahren erreichen wollte, dann hat man das zum Teil erreicht. Wenn man sagt, bei uns finden Verfolgte Aufnahme, dann sind diese Jubelmeldungen nicht wirklich einzuordnen. Das sagt nichts über das weltweite Flüchtlingsschicksal aus, sondern zeigt, dass Österreich sich mehr und mehr aus der Verantwortung stiehlt. Durch Asylverfahren, die nicht mehr dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit entsprechen

derStandard.at: Wieso sinken die Anträge überhaupt so stark?

Schumacher: Vor allem drei Parameter tragen dazu bei: Erstens ist es als Flüchtling immer noch schwierig nach Österreich, ja überhaupt nach Europa zu kommen. Das geht fast nur mehr durch die Inanspruchnahme eines Schleppers. Die Fluchtrouten werden außerdem immer teurer und gefährlicher.

Zweitens greift das Dublinsystem mehr und mehr, das hat zwar keine unmittelbare Auswirkung auf die Antragszahlen, weil jemand der etwa in Ungarn einen Antrag stellt, durchaus noch einen in Österreich stellen kann. Aber es spricht sich unter Flüchtlingen herum und passiert dann seltener.

Der letzte Punkt ist eben, dass Flüchtlinge sich, wenn sie die Möglichkeit haben, einen Staat aussuchen, in dem sie bessere Chancen haben einen positiven Asylbescheid zu erhalten. Dass deshalb in Österreich weniger Anträge kommen, wurde natürlich durch das Fremdenrechtspaket "erreicht". Aber wenn das der Erfolg sein soll, dass man durch nicht rechtsstaatliche Verfahren die Antragssteller abschreckt, dann muss man sich dazu offen bekennen. Das tut Österreich natürlich nicht.

derStandard.at: Welche Punkte entsprechen denn nicht den Erfordernissen des Rechtsstaats?

Schumacher: Ein rechtsstaatliches Verfahren folgt drei Grundprinzipien: Erstens muss es zu der richtigen Entscheidung führen. Zweitens muss es dem Prinzip der Fairness folgen. Und drittens muss es effektiv sein. Beim österreichischen Asylverfahren passen alle drei Grundsätze nicht.

Erstens gibt es Lücken und Mängel in den gesetzlichen Regelungen, so dass die Richtigkeit einer Entscheidung nicht gewährleistet ist – zum Beispiel werden die Verfahren sehr schnell durchgepeitscht, so dass die Leut gar keine Zeit haben zu sich zu kommen. Innerhalb von 42 Stunden gibt es schon die Ersteinvernahmen, innerhalb von 20 Tagen wird oft schon eine Entscheidung gefällt.

Auch die Fairness ist nicht gegeben: Mit Asylsuchenden wird im Sinne von Objekten "verfahren", statt dass sie als Rechtspersönlichkeit mit subjektiven Rechten wahrgenommen werden. Kein Asylwerber kann selbst seine Rechte im Verfahren wahrnehmen.

Und drittens sind die Verfahren nicht effektiv – das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Verfahren nicht in angemessener Zeit durchgeführt werden. Momentan haben wir 40.000 Asylverfahren, die offen sind. Von der versprochenen Beschleunigung ist überhaupt keine Rede. Wenn jemand ein Berufungsverfahren hat, muss er beim UBAS mit drei bis fünf Jahren rechnen, obwohl die Entscheidungsfrist ein halbes Jahr vorsieht – das ist ein Wahnsinn.

derStandard.at: Immer wieder wird von Juristen überlegt, ob das Paket nicht in Teilen verfassungswidrig oder menschenrechtswidrig ist – wie sehen Sie das?

Schumacher: Österreich hatte im Fremdenbereich vorher schon Defizite - und die wurden durch die neuen Gesetze noch verschärft. Mann kann diese auch fast nur auf legislativer Ebene lösen. Die andere Variante ist die, dass die Fälle an den VfGH oder VwGH herangetragen werden, dass also versucht wird die Fälle auszujudizieren. Das Problem ist nur, dass die Gesetze sich in so schneller Folge ablösen, dass eine Entscheidung praktisch nur mehr von rechtshistorischem Interesse ist. Beim EGMR ist das sogar noch schlimmer, da muss man von etwa acht bis zehn Jahren Gesamtverfahrensdauer ausgehen.

derStandard.at: Welches sind Ihrer Ansicht nach die drängendsten Probleme des Fremdenrechtspaketes?

Schumacher: Eine der wichtigsten Sofortmaßnahmen wäre es, die verfassungswidrige Diskriminierung von Angehörigen von Österreichern zu beseitigen. Diese Regelung hat sehr schlimme Auswirkungen.

Zweitens müsste man dringend die Unterhaltserfordernisse entschärfen – wer die Unterhaltssätze auch nur kurz unterschreitet, kommt in extrem prekäre Situationen. Das führt dazu, dass Menschen aus niedrigen Einkommensschichten kaum mehr die Möglichkeit haben, die Staatsbürgerschaft zu bekommen, andererseits drohen etwa Frauen in Karenz Ausweisungsverfahren oder die Verweigerung von Aufenthaltgenehmigung für das Kind.

Weiters werden seit Jänner dieses Jahres wahnsinnig viele Asylwerber in Schubhaft genommen. Ein Drittel aller Schubhäftlinge sind Asylwerber, viele werden gleich nach ihrer Antragsstellung in Haft genommen. Das ist absolut kontraproduktiv und zu verurteilen.

Außerdem gehört das Instrumentarium der Zwangsernährung sofort beseitigt, da gibt’s gar keine Diskussion. Man hat ja behauptet, es sei da, um die Zahl der Hungerstreikenden zu reduzieren, indem man ihnen eine Rute ins Fenster stellt. Das hat rein gar nichts gebracht - wir haben immer noch so viele Hungerstreikende wie zuvor, manchen Vermutungen zu Folge sogar mehr. Die Zwangsernährung ist zwar noch nicht durchgeführt worden, aber auch als bloße Drohmaßnahme ist sie ein Schandfleck für die österreichische Rechtsordnung. Gerade weil sie Schubhäftlinge betrifft, die nicht einmal etwas verbrochen haben. Das kennt man von Guantanamo, aber nicht von einem westeuropäischen Staat.