Christian Bauer (45) ist Geschäftsführer der Bauer+ Partner Unternehmensberatung in Wien mit Schwerpunkt betriebswirtschaftliche Beratung von Einrichtungen des Gesundheitswesen und der Bauer+Partner Pflegeheim GmbH, die sich mit der Planung, Errichtung und Betriebsführung von Pflegeeinrichtungen beschäftigt. Dafür hat er eine Reihe von Studien zum österreichischen Krankenanstaltenwesen durchgeführt. Er hat zwei Töchter und lebt in Wien.

Foto: STANDARD/Hendrich

Roland Paukner (58), Allgemeinmediziner, ist seit April 2005 Direktor der Teil-unternehmung Pflegeheime des Wiener Krankenanstaltenverbundes. Er wurde 1989 in die Spitalsreformkommission berufen, wo er den Arbeitskreis "Integrative Maßnahmen" leitete. Bis Ende 2004 war er Mitglied des Vorstandes der Ärztekammer, stv. Obmann der Sektion Allgemeinmedizin. Zudem ist außerordentliches Mitglied des Landessanitätsrats. Er ist verheiratet und lebt in Wien.

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Pflegeheime haben einen schlechten Ruf. Zu Unrecht, sagt der im Wiener Krankenanstaltenverbund zuständige Roland Paukner, der auf Gesundheitswesen spezialisierte Unternehmensberater Christian Bauer sieht Reform- bedarf. Es moderierte Sabina Auckenthaler.
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STANDARD: Pflegeheime haben keinen besonders guten Ruf. Warum?

Paukner: Der schlechte Ruf kommt vor allem aus einer Zeit, in der die Pflegeheime noch reine Versorgungsheime waren. Vor über hundert Jahren war es in Wien allerdings durchaus eine soziale Leistung, ein Versorgungshaus zu errichten. Das Image, dass es sich bei den Heimen um reine Unterbringungsorte handelt, hat sich dann aber hartnäckig gehalten, auch noch als die Situation in den Heimen schon längst eine andere war. Die Realität in den Heimen ist heute viel besser als ihr Ruf.

Bauer: Allerdings haben auch die Skandale, die es in den letzten fünfzehn Jahren gegeben hat, nicht unbedingt zu einer Imageverbesserung beigetragen. Und man muss auch sagen, dass es für Menschen, die vielleicht siebzig Jahre zu Hause gelebt haben, tatsächlich nicht einfach ist, wenn sie in eine vollkommen neue Umgebung kommen. Alte Leute gewöhnen sich nicht so leicht um. Zudem war die Situation in den Heimen in der Vergangenheit - und das ist nicht einmal so lange her - mit vielen Menschen in einem Saal alles andere als einladend. Wenn jemand gewohnt ist, allein zu schlafen, kann diese Vorstellung schon Unbehagen hervorrufen

STANDARD: Es gibt ja noch immer Mehrbettzimmer. Und das wird ja auch mit dem Pflegeheimgesetz - zumindest in Wien - nicht anders.

Paukner: In den Häusern, die wir neu errichten, wird es nur noch Ein- und Zweibettzimmer geben, wobei wir darauf achten werden, dass die Räume bei Bedarf leicht umgebaut werden können. Aber in den alten Häusern, wie dem Geriatriezentrum am Wienerwald, ist dies allein von der Baustruktur her nicht möglich. Wir haben derzeit noch Fünf- und Sechsbettzimmer dort, ab 2008 werden wir maximal Vierbettzimmer haben. Man muss aber auch sagen, dass es Menschen gibt, die nicht gern allein schlafen.

Bauer: Ich glaube es ist wirklich eine Ausnahme, dass sich jemand wünscht, in einem Vierbettzimmer zu schlafen. Offen gesagt habe ich das noch nie von einem Pflegepatienten gehört. Natürlich ist die bauliche Situation in den alten Häusern nicht einfach. Trotzdem glaube ich, dass es nur Ein- oder Zweibettzimmer geben sollte.

STANDARD: Das Bild von der Großanstalt wirkt auch nicht gerade einladend ...

Paukner: Für die Errichtung der neuen Häuser sind wir gerade im Abschluss der Gesamtplanung für Wien. In den neuen Einheiten, die wir über das ganze Stadtgebiet verteilt errichten, können die Menschen dann in dem Stadtteil bleiben, den sie kennen und wo sie ihre wenigen sozialen Kontakte aufrecht erhalten können. Hier wird es nur noch zwischen 240 und 350 Plätze pro Standort geben. Damit kommen wir von der Großanstalt, die es jetzt halt im Geriatriezentrum am Wienerwald noch gibt, schrittweise weg. Das ist natürlich ein riesiges Investitions- und Bauvorhaben. Wir sprechen in etwa von einem Zeitraum von zehn Jahren, bis das verwirklicht sein wird.

Bauer: Es stellt sich schon die Frage, ob es sinnvoll ist, ein Haus wie das Geriatriezentrum am Wienerwald mit fast 2000 Betten überhaupt weiter zu betreiben. Die Mindestanforderungen laut Pflegeheimgesetz, also ein lichtdurchflutetes 17 Quadratmeter großes Zimmer, wenn es für eine Person ist, mit einen kleinen Vorraum und einem behindertengerechten Badezimmer, ist in den alten Häusern natürlich nicht annähernd erfüllbar. Ich stelle mir das Pflegeheim der Zukunft ganz anders vor.

STANDARD: Und zwar wie?

Bauer: Wir haben im letzten Jahr eine umfangreiche Pflegestudie erstellt, wo sich deutlich gezeigt hat, dass das klassische Pflegeheim längst überholt ist. Der Bedarf geht eindeutig in Richtung eines Vier-Säulen-Modells mit differenziertem Leistungsangebot. Das beginnt bei einer zentralisierten Information und Beratung, die derzeit in einem Kompetenz- und Informations- dschungel verläuft, über mobile Dienste, einer Tages- und Nachtstätte bis hin zur stationären Betreuung und Pflege. Aktuell müssen in den Pflegeheimen dringend vermehrt Tagesstätten errichtet werden.

Wenn alte Menschen mit einem Fahrtendienst ins Tageszentrum gebracht, dort verköstigt und betreut werden, lernen sie das Pflegeheim schon einmal ein bisschen kennen und verlieren die Scheu davor. Sinnvoll wäre auch eine Nachtbetreuung: Manche Menschen schaffen den Tag zu Hause gut, haben aber nachts Angst, allein zu sein. Gleichzeitig könnte man die Pflegepersonen so zwischen den verschiedenen Abteilungen rotieren lassen, was den Berufsalltag wesentlich interessanter gestalten würde.

Paukner: Wir bauen jetzt bei allen neuen Geriatriezentren in Wien Tageszentren mit, die der Fonds Soziales Wien betreuen wird. Einerseits um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden, anderseits um die Eintrittsbarrieren zu verringern. Wir schauen bei den neuen Heimen darauf, dass sie in ein städtisches Umfeld eingebunden sind, dass die Verkehrsanbindung gut ist und dass trotzdem ein Stückchen Grünraum dabei ist. Durch Dienstleistungsangebote wie Cafés, Friseur, Pediküre werden die Häuser durchlässiger und belebt.

STANDARD: Die Maßnahmen beziehen sich alle auf die Zukunft. Herr Paukner, was ist aktuell nun eigentlich besser an den Heimen als ihr Ruf, wie Sie eingangs gesagt haben?

Paukner: Auf alle Fälle das pflegerische, medizinische und therapeutische Angebot. Wir haben aus den Unzulänglichkeiten, die es gegeben hat, gelernt und diese hoffentlich auch behoben. Die Qualität in unseren Häusern steigt laufend. Die Anzahl des diplomierten Personals konnte in den letzten Jahren erhöht und das therapeutische Angebot ausgebaut werden. Wir haben heute in fast allen unseren Häusern einen Personalschlüssel zwischen 66 und 68 Pflegepersonen pro 100 Patienten. Damit brauchen wir uns im Vergleich mit anderen Pflegeeinrichtungen und auch international überhaupt nicht genieren. In den neuen kleineren Einheiten wird das Pflege- und Betreuungsangebot auch räumlich noch besser werden.

Bauer: Aber auch Häuser mit 200, 300 Betten, wie sie das Pflegeheimgesetz ja zulässt, sind im Grunde zu groß, um eine Bezugspflege anbieten zu können, bei der sich der einzelne Mensch nicht dauernd auf neue Pflegepersonen einstellen muss. Auch in Bezug auf Wirtschaftlichkeit und Personalführung wären kleinere Häuser viel effizienter. Aber mehr als 140 Plätze, was drei oder vier Stationen entspricht, sollte ein Haus nicht haben, wenn es ein wohnliches Gefühl vermitteln und den Bedürfnissen des einzelnen Menschen optimal gerecht werden will.

STANDARD: Würde sich das finanziell ausgehen?

Paukner: Genau das ist der springende Punkt. Es geht um einen guten Kompromiss zwischen einer optimalen Betreuungsstruktur, die wir anbieten können, und der Wirtschaftlichkeit und der Finanzierungsmöglichkeit. Der Krankenanstaltenverbund hat ja den Auftrag, sich auf höheren Pflegestufen zu konzentrieren, also Menschen, die auch medizinische und therapeutische Betreuung brauchen. Hier schaut die Größenordnung im Vergleich zur Finanzierbarkeit gleich anders aus.

Wir haben zum Beispiel sehr hohe Vorhaltekosten. Wir sind schließlich die einzigen Pflegeheime in Wien, die im Notfall sofort aufnehmen können. Das heißt nicht, dass die neuen Einrichtungen wie Krankenhäuser aussehen müssen, vielmehr werden sie den Charakter von Wohnhäusern haben. Und auch wenn die gesamte Institution bis zu 350 Betten umfasst, können wir in einzelne Wohnbereiche unterteilen, sodass wir in den neuen Häusern sehr wohl eine Bezugspflege zusammenbringen werden.

Bauer: Wir haben uns das für alle neun Bundesländer durchgerechnet. Die Situationen sind da ja sehr verschieden, nicht nur von den baulichen und räumlichen Vorschriften her, sondern auch von den Finanzierungen seitens der öffentlichen Hand und der Anzahl des Pflege- und Betreuungspersonals im Verhältnis zu den Bewohnern. Grundsätzlich kann man sagen, unter hundert Betten wird es schwierig, ein Heim finanziell annähernd ausgeglichen zu betreiben. Bis zu zirka 140 Betten kann man ein Heim vernünftig führen, und das ist auch noch finanzierbar.

Paukner: Ich bin wirklich fest davon überzeugt, dass wir auch mit der Größenordnung von 350 Betten durchaus eine Struktur anbieten können, die ein Zuhause und eine Individualität ermöglichen kann. Auch für die Mitarbeiter halte ich diese Zahl an Betten noch für überschaubar. Bei über 350 Bewohnern wird es dann vermutlich tatsächlich schwierig, weil die Übersichtlichkeit verloren geht. Im Grunde kommt es auf die Qualität der Organisation an. Man kann schließlich ein kleines Haus schlecht und ein großes gut führen.

STANDARD: Was wünschen Sie sich grundsätzlich für die Zukunft?

Bauer: Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn die Richtlinien für Pflegeheime in Bezug auf Aufnahmeprozesse, Zimmergröße in ganz Österreich vereinheitlicht würden. Die Bedürfnisse eines 85-jährigen Vorarlbergers sind ja nicht unbedingt anders als die eines Wieners. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2006)