Entdecker

Wer aufbrach um neue Welten zu entdecken, fand nicht selten Tod und Schrecken. Doch wie die Idylle der damaligen Romanciers es wollte, war die Zeit der Kolonialisierung nichts weiter als der ideale Zusammenwuchs von ur-völkischen Lebensweisen und europäischer Imperial-Kultur. Eine äußerst rosige Sicht auf die vergangen Verbrechen an den menschlichen Reichtümern verstrichener Epochen. Dennoch, manchmal tut es gut, allzu reale Herrschaftskriege in den Hintergrund zu stellen – vor allem dann, wenn der Spaß am Spielen in den Mittelpunkt rückt.

Was ist Anno

Für Neulinge der Serie ist Anno 1701 kurz gesagt, genau wie seine Vorgänger, ein Aufbau-Strategie-Spiel. In diesem Fall bedeutet das, auf einer frei erfundenen Landkarte gilt es eine Inselgruppe zu besiedeln und eine Zivilisation zu gründen. Auf jeder der unterschiedlich großen Landstriche befinden sich, passend zur jeweiligen Vegetation und Klimazone, bestimmte Rohstoffe. Im Verlauf des Spiels verlangen die Bewohner der stetig wachsenden Gemeinden nach diversen Produkten, um sich weiterentwickeln zu können. So ergibt sich die Herausforderung im Wettbewerb mit den anderen Mitspielern – wahlweise menschlich- oder computergesteuert – sich die richtigen Inseln zu sichern, um die nachgefragten Waren produzieren zu können. Alternativ besteht die Möglichkeit nicht vorhandene Rohstoffe, nach dem Prinzip des freien Marktes, zu handeln. Konflikte sind demnach vorprogrammiert.

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Kolonie

Anno 1701 mag es zwar nicht immer so ausgesehen haben, doch die Postkarten-Idylle lädt ein, mit dem Schiff auf Erkundungs-Tour zu fahren. Im Auftrag der Königin gilt es ein beschauliches Stück Land auszumachen, sich niederzulassen, einen Kontor zu errichten und schließlich eine Kolonie zu gründen. Das Zentrum bildet der Dorfplatz. Auf ihm findet das gesellschaftliche Treiben statt und die Bewohner werden hier mit Waren versorgt. Rund um ihn herum setzt man die ersten rustikalen Unterkünfte der Pioniere und verbindet sie mit einfachen Feldwegen. Ein Fischer und eine Rinderfarm sorgen für die Nahrungsbeschaffung, ein Förster beschafft Holz und sichert so den Auf- und Ausbau von Gebäuden. Ein Marktplatz erschließt in seinem Einzugsgebiet die verschiedenen Betriebe und holt die Waren ein. Fertigungsstätten, wie die Fleischerei, beziehen von dort die Rohstoffe und produzieren die von den Einwohnern verlangten Produkte – in dem Fall Nahrung.

Soziales Gefüge

Neben den greifbaren Wünschen reihen sich auch komplexere Bedürfnisse nahtlos an die Liste der Forderungen an. Eine Kirche soll erbaut werden, um den Zusammenhalt zu stärken, Schulen bilden den Grundstein für die Wissensschaffung und Erforschung ausgeklügelter Techniken. Als Herrscher über seine Sprösslinge hat man für deren Fortschritt zu sorgen. Jede der fünf Zivilisationsstufen, hat dabei spezielle Bedürfnisse - aufbauend auf jenen der vorherigen Entwicklungsschicht. So verlangen die Pioniere lediglich nach Essen und einem Dorfplatz, während sich die soziale Spitze, die Aristokraten, nach allerlei Schnickschnack wie Parfum und Schmuck sehnt.

Aufbruch

Wie Anfangs erwähnt, lassen sich nicht alle benötigten Rohstoffe auf einer Insel finden. So drängt es einen – bestückt mit Holz, Werkzeug und Ziegel – mit dem Schiff aufzubrechen und die passende Insel anzupeilen und in Besitz zu nehmen, bevor ein Konkurrent dies tut. Im Süden herrscht Beispielsweise das richtige Klima um Tabak anzubauen, Blumen für Parfum wachsen lediglich auf den sattgrünen Plätzchen des mittleren Nordens. Baustoffe und Edel-Metalle sind in den Bergen jedes Landes angesiedelt. Kleine Symbole über den Fundorten beschreiben das jeweilige Material und geben Auskunft über dessen Vorrat. Ziegel und Eisenerz sind dabei weniger schwer auszumachen, als Gold und Edelsteine. Besonders gefragt sind unerschöpfliche Vorkommen, hier gehen die Bestände niemals aus.

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Steuern und Handel

Für die Mühe, all die Bedürfnisse zu befriedigen, erhält man als Landesvater Steuern von seinen Bürgern. Umso höher die Entwicklungsstufe, desto mehr Abgaben wandern in den Pot. Diese Einnahmen werden, so wie auch die Baumaterialien, benötigt, um den Stadtausbau zu garantieren, weitere Schiffe für den Warentransport zu bauen oder auch ein Militär einzurichten. Zusätzlich verprassen sämtliche Produktionsstätten fortlaufend Geld, welche sich als Betriebskosten in der Bilanz niederschlägt. Gerade in der mittleren Phase des Spiels, wenn Bürger und Kaufleute von der Bierschenke zum Tabakladen trotten und im Saus und Braus die Ausgaben für Genussmittel in die Höhe treiben, sollte der Handel mit anderen Völkern in Betracht gezogen werden, um die Finanzen im schwarzen Bereich zu halten. Ein Überschuss an Rum mag sich zwar negativ auf das permanente Einkommen auswirken – dessen Verkauf bringt jedoch satte Erträge.

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Handel und Diplomatie

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wurden diese Aspekte weiter betont. Vor allem der Handel mit Eingeborenen erleuchtet im neuen Glanz. Bestimmte Güter können nämlich nicht selbst gewonnen werden. Jade, Felle oder Talismane gibt es nur durch Handelsabkommen mit Ureinwohnern, dem freien Händler oder den Piraten. Letztere bieten alles an. Ein Abkommen mit ihnen provoziert jedoch die Missgunst der Computergegner und somit eine Verschlechterung der Handelsbeziehungen. Der freie Händler stellt ebenfalls ein reichhaltiges Sortiment an exklusiven Schmankerln dar, ist aber teurer als alle anderen. Somit bleibt nichts, als der Weg über die exotischen, unerforschten Völker und ihre reichhaltigen Kulturen. Um von Azteken, Indianern, Chinesen und Indern die ersehnten Produkte zu erhalten, muss jedoch zuerst ihr Vertrauen gewonnen werden. Beliefert man sie einige Male mit den Rohstoffen ihres Begehrens, erhält man im Gegenzug ein Handelsabkommen zu äußerst günstigen Konditionen. Zur Auflockerung bittet sie der freie Händler immer wieder um Hilfe. Für die Bergung eines Schiffswracks oder die rasche Lieferung von Stoffen in einem vorgegebenen Zeitfenster, erhält man reichlich Lohn und seltene Waren.

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Forschung und Sabotage

Wie schon zuvor, ist der Platz auch in Anno 1701 begrenzt. Das führt unweigerlich zu Streitereien um Anbaugebiete und Ressourcen. Um der Konkurrenz dennoch voraus zu sein und seine Zivilisation in herrschaftliche Höhen zu treiben, lassen sich in Schulen, Universitäten, Markthäusern und Kasernen allerlei nützliche Erfindungen in Auftrag geben. Neben Verbesserungen im Schiffsbau und in der Landwirtschaft finden sich unter den Forschungspunkten neuerlich auch Spezialaktionen, die erst mit der Errichtung eines Logenhauses freigeschaltet werden können. So lässt sich ein Taschendieb ausbilden, um gegnerischen Parteien Gold aus der Kassa zu stehlen oder ein Revoluzzer sorgt für Aufstände in der gegnerischen Bevölkerung. Damit nicht jede Partie denselben Verlauf nimmt wie die Vorherige, muss man sich bei seiner Wahl der zu erforschenden Elemente oft für einen Weg entscheiden. Wer Beispielsweise Haubitzen bauen will, verzichtet so automatisch auf Mörser.

Gotteshand

In den Tropen scheint es manchmal unbehaglich. Wer sich an die zerstörerische Kraft der Ufos in Sim City erinnert, muss selbst entscheiden, ob er im Menu die Naturkatastrophen an- oder abdreht. Wer auf hektische Feuerwehreinsätze und verzweifelte Umstrukturierungs-Aktionen nicht verzichten will, der erhascht im Gegenzug die spektakulärsten Spezial-Effekte der Strategie-Spiel-Geschichte. Wirbelstürme reißen ganze Häuser aus ihrem Fundament, ein Erdbeben bricht den Boden unter den Füßen der verwirrten Bevölkerung entzwei. Weniger schlau gelungen ist die eher harmlose Rattenplage. Diese sorgt dafür, dass Lagerbestände von spezifischen Gütern schwinden. Interessanter Weise sind Eisen, Marmor und Gold davon ebenso betroffen wie Getreide und Honig. Damals waren die Raten eben noch zäh.

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Krieg und Frieden

Zwar ist Anno in allererster Linie ein Aufbauspiel, jedem steht es dennoch frei bestimmte Auseinandersetzungen auf brachiale Art und Weise zu lösen. Dabei erweist es sich nicht als einfach, über die lukrativen Handelsabkommen hinwegzusehen und Gewinnbringende Partner in die Flucht zu schlagen. Hier sollte genau abgewogen werden, welcher Weg der klügere ist. Die Konfrontation mit der eigenen Königin kommt allerdings zwangsläufig zustande. Die Oberste Befehlshaberin fordert in gewissen Abständen immer höhere Tributzahlungen. Das schreit nach Befehlsverweigerung und Unabhängigkeit. Bleiben so die Zahlungen aus, schickt die blasse Gestalt mit rotem Zopfe ihre Flotte und der Krieg beginnt. Um ihre Schiffe zu versenken, sollte man einen großen Bund an Kanonenboten aufweisen können. Der Kampf selbst, erfolgt nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip – aufwändige taktische Manöver sind zur See und im Felde nicht von Nöten. Das ist jedoch keine Schwäche des Spiels, für Feldherren der Bildschirme stehen Spezialisten wie Age of Empires in den Regalen. Wirklich interessant am Kriegspielen ist eigentlich der wirtschaftliche Aspekt dahinter. Bevor nicht die Entwicklungsstufe Aristokraten erreicht wurde, sind die hohen Betriebskosten des Heeres kaum zu begleichen. Die Realität lässt grüßen.

Kampagnenlos

Markanter Unterschied zu den ersten beiden Titel: Handlungsgetriebene Kampagnen gibt es nicht mehr. Auf sie wurde zur Gänze verzichtet und das Hauptaugenmerk auf das beliebte Endlosspiel gelegt. Daneben stehen noch zehn unterschiedlich schwere Szenarien zur Auswahl, bei welchen gezielt Aufträge erfüllt werden müssen. So steht einmal die Flotte der berüchtigten Piraten im Visier, während ein anderes Mal lediglich eine Siedlung gegründet werden muss. Wie von der Fangemeinde gefordert, wurde auch ein Mehrspielermodus integriert. Egal, ob übers Internet oder das LAN – hier kommt das abwechslungsreiche Konzept von Anno erst so richtig zur Geltung.

Altbewehrtes und Neues

Wer sich an die vielen Produktionswege des Vorgängers noch erinnern kann, wird feststellen, dass an vielen Enden des Nachfolgers geschliffen wurde. Das Wirtschaftssystem wurde merklich optimiert und übersichtlicher gestaltet. So gibt es keine Seilereien mehr und auch die Nahrungsgewinnung wurde um die kleine Farm erleichtert. Waren früher einzelne, kleine Marktstände notwendig, um die Einwohner zu versorgen, übernimmt diese Aufgabe heute der Dorfplatz. So bleibt mehr Zeit, sich auf die Handelsverstrickungen zu konzentrieren und den langen Arm der Diplomatie walten zu lassen.

Beim Aufbau wurden auch einige Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt - das Badehaus sucht man nun vergeblich. Immer noch findet man Schwächen in der Städteplanung. Zwanghafte Symmetrie-Fanatiker werden es dank der Gebäudestrukturen kaum auf die Reihe bekommen, die Wirkungsbereiche von Kirchen und Universitäten perfekt auszunutzen. Irgendwo steht immer ein Haus im Schatten. Wenigstens sorgen kleine Felsen nicht mehr für Ärgernisse bei der Planung der Infrastruktur – ein Sprengmeister kümmert sich um derartige Stolpersteine.

Übersicht im Lotterleben

Dort oben wird ein Wal gefangen, hier unten ein Reh erlegt und die Flotte patrouilliert um die Heimatinsel. Besonders das neue User-Interface sorgt dafür, das bunte Treiben permanent erfassen zu können. Forschung, Spezialaktionen, Bau-Menü und alle anderen wichtigen Elemente sind unmittelbar über die Kreisförmige Schaltfläche in der linken Bildschirmecke zu erreichen. Verwirrtes "Durch die Häuser Schalten" gibt es nicht mehr – Anno ist nun aufgeräumt.

Bilderbuch

Die optische Aufbereitung setzt offensichtlich neue Maßstäbe für die Entwickler des Genres. Wogendes Meer, schillernde Küsten, reges Straßenleben, Freudenfeuerwerke, Spiegelungen an der Wasseroberfläche – Seitenkönnten gefüllt werden, um alle Feinheiten und Shader-Effekte zu beschreiben. Die Sound-Qualität steht dabei um nichts nach. Alle Avatare der Mitspieler haben je nach ihrem Charakter-Typ passende Stimmen verpasst bekommen. Die Musik ist immer noch stimmungsvoll und die Kommentare des Hofberichterstatters, der einen stets über die Lage der "Nation" informiert, nervt auch erst nach zig Stunden des Spielspaßes.

Das diese Schmankerln der Technik ihren Preis haben, steht außer Frage. Wer Anno 1701 in voller Auflösung, mit allen Details und Bildverbesserungen wie Anti-Aliasing genießen möchte, sollte über einen aktuellen Dual-Core-Rechner samt High-End-Grafikkarte verfügen. Alle anderen drehen die Glitzer-Features herunter und erfreuen sich auch ohne Zuckerl-Optik am unterhaltsamen Spielgeschehen.

Fazit

Endlich ist die Serie dort angelangt, wo sie von Anfang an hätte sein sollen – am Zenit der Aufbauspiele. Das es keine halbherzig gestaltete Kampagne mehr gibt, dürfte niemandem Tränen in die Augen schießen lassen. Denn das Endlosspiel mit seinen Tage füllenden Herausforderungen befriedigt alle Bedürfnisse der Hobby-Herrscher. Die Rollenzuordnung der jeweiligen Parteien klappt diesmal einwandfrei. Eingeborene sind schließlich kein simples Kanonenfutter mehr und die Computergegner legen nun unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag. Der Weg zur Unabhängigkeit und der Widerstand gegen die Königin besiegeln letztendlich die Mühen des jungen Entdeckers, der aufbrach um eine neue Zivilisation zu gründen. (Zsolt Wilhelm)