Wien - Die Pensionsreform und die Einführung von Behandlungsgebühren beim Ambulanzbesuch haben am Mittwoch im Nationalrat noch einmal zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsparteien und Opposition geführt. Ungeachtet diverser Einwände von SPÖ und Grünen dürfte der Beschlussfassung in den Abendstunden nichts mehr im Wege stehen. Das bedeutet, dass die Reform mit den Kernpunkten Anhebung des Frühpensionsalters um 18 Monate sowie Erhöhung der jährlichen Abschläge von zwei auf drei Prozentpunkte mit 1. Oktober in Kraft tritt. Die Debatte im Plenum verlief streckenweise äußerst emotional. Die SPÖ warf den Koalitionsparteien wiederholt vor, keine echten Strukturmaßnahmen durchzuführen sondern einzig eine "Geldbeschaffungspolitik auf Kosten der Arbeitnehmer" zu betreiben. Auch eine klassenkämpferische Note wurde eingebracht. Metallerchef Rudolf Nürnberger meinte, die Pläne seien nur dazu gut, "irgendwie die Geschenke an Bauern und Großunternehmer finanzieren zu können". Gusenbauer sieht die Erträge der privaten Versicherungen wachsen SP-Klubobmann Alfred Gusenbauer wiederum sieht im Paket der Koalition in erster Linie die Intention, die Erträge der privaten Versicherungen zu steigern. Der Grüne Sozialsprecher Karl Öllinger kritisierte eine mangelnde Gerechtigkeit der Reform. Die Jungen müssten künftig "doppelt zahlen", einerseits für die staatliche Pension und andererseits für eine Privatversicherung. Die Koalitionsparteien wiederum argumentierten durchgehend, dass die Reform unbedingt notwendig sei, wolle man auch für die künftigen Generationen die Pensionen sichern. Speziell Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (F) blieb der SPÖ nichts schuldig. Sie warf den früheren Regierungen vor, mit ihren "sogenannten Pensionsreformen" nichts zur Stabilisierung des Systems beigetragen zu haben. Unzählige Studien der rot-schwarzen Koalition hätten ergeben, dass die Finanzierung des Pensionssystems langfristig gefährdet sei. Geschehen sei aber nichts. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (V) wies die Vorwürfe der SPÖ zurück, wonach Unternehmer und Bauern bevorzugt würden. Ganz im Gegenteil: Die beiden Gruppen müssten jeweils 250 Millionen Schilling zusätzlich für den Pensionstopf aufbringen. Damit seien Bauern und Unternehmer sogar relativ gesehen stärker belastet. Sozialministerin Elisabeth Sickl (F) bezeichnete die Reform als "gut abgestimmtes, wohl ausgewogenes Paket". Das Motto der Regierung sei "Geschwindigkeit und Gerechtigkeit". Alle Gruppen seien gleich betroffen, eine Härte- und eine Vertrauensschutzklausel seien geschaffen worden. Einige Detailänderungen Während der Sitzung wurden in den Klubs noch einige Detailänderungen ausverhandelt. So sind im öffentlichen Dienst nach Dienstunfällen erwerbsunfähige Beschäftigte von den Abschlägen ausgenommen, wobei diese Regelung nicht für den Diensthin- bzw. Rückweg gilt. Um einen Run auf die Frühpensionen zu verhindern, wurde die Frist, bis zu der von Beamten der Antrag auf Pensionsantritt gestellt werden muss, um nach dem alten Pensionsrecht in den Ruhestand treten zu können, rückwirkend vom 30. September auf den 30. Juni vorverlegt. Kritik am Pensionspaket kam heute auch vom Verfassungsjuristen Theodor Öhlinger. In einem Gutachten für die Arbeiterkammer kommt er zum Schluss, dass der Termin des Inkrafttretens der Reform verfassungswidrig ist. Es handle sich um einen "plötzlichen und intensiven Eingriff in erworbene Rechtspositionen", heißt es in dem Papier wörtlich. Das Argument der Budgetsanierung sei nicht ausreichend, urteilt Öhlinger. ÖGB und Arbeiterkammer wollen nun Individualklagen einbringen, um eine Aufhebung der Reform durch den Verfassungsgerichtshof zu erreichen. Einer der Kernpunkte ist die Anhebung des Frühpensionsalters Kernpunkte des Pensionspakets sind die Anhebung des Frühpensionsalters um 18 Monate für alle Berufsgruppen sowie die Erhöhung der jährlichen Abschläge von zwei auf drei Prozentpunkte (bei Beamten maximal 18 Prozentpunkte, im ASVG 10,5 Prozent). Im öffentlichen Dienst sowie bei den Eisenbahner werden die Pensionsbeiträge um 0,8 Prozent angehoben. Die auf Privatverträgen basierende Pensionsregelung der Eisenbahner wird in Gesetzesrang erhoben. Zudem gibt es einige Maßnahmen im Gesundheitswesen. Ab Anfang 2001 sind Behandlungsgebühren in Ambulanzen zu entrichten. Diese betragen bei Überweisungen 150 Schilling pro Besuch, bei Eigenbesuchen 250 Schilling, maximal aber 1000 Schilling in einem Jahr. Gezahlt werden muss erst 2002, da die Gebühr rückwirkend eingehoben wird. Festgelegt wurden auch einige Ausnahmen. Kostenlos bleibt beispielsweise die Behandlung von Notfällen. Die Rezeptgebühr wird ab Oktober von 45 auf 55 Schilling erhöht. (APA)