Eine Raum-in-Raum-Lösung von Bene: der "ALPavillon"

Foto: Hersteller

Julia Läufer und Marcus Keichel entwickelten für La Palma einen Bürostuhl mit einer Federdämpfung wie sie beim Mountain-Bike verwendet wird

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Es sieht so aus, als würde das neue Zuhause des Büroarbeiters von morgen draußen, in der Welt sein. Auf dem Bahnhof, auf dem Flughafen, in der Hotellobby. Ins Bürogebäude kommt er vornehmlich, um mit seinesgleichen zu konferieren und informelle Gespräche zu führen. Und klar: Dafür braucht es neue Büroarchitektur und neue Büromöbel. Nicht nur sie, sondern auch Teppichböden, Archiv- und Beschilderungssysteme, Beleuchtung und Akustikpaneele wurden in Köln gezeigt.

Die Trendsetter der Branche propagieren ein Büro neuen Typs: Vom "Open Office" spricht Bene-Geschäftsführer Thomas Bene. "Net 'n Nest" nennt Vitra-Chairman Rolf Fehlbaum die Verbindung aus "Networking" und "Nesting". Bislang widersprüchliche Konzepte sollen miteinander verschmelzen, um neue Produktivität freizusetzen. Beide Unternehmen halten schon aus wirtschaftlichen Erwägungen die Rückkehr eines "aufgeklärten Großraumbüros" für unvermeidlich. Sie bieten unterschiedliche Produkte an, um dem Großraumbüro von einst, das in England und den USA bis heute die dominierende Büroform ist, seinen Schrecken zu nehmen. So spricht Didi Lenz, bei Bene für Produktmanagement-Konzepte verantwortlich, von "Identifikations- und Rückzugsorten", die der Großraum künftig bereithalten müsse. Der Arbeitsplatz werde zum "Ort der Verdichtung", der selbst keine Rückzugsmöglichkeiten mehr biete.

Umso wichtiger ist laut Lenz die Schaffung neuer "Denkerzellen" und sinnstiftender Plätze für Kommunikation. Bene hat dies jüngst mit der Entwicklung neuer Möbel und Einrichtungskonzepte für das BMW-Werk Leipzig (Architektur: Zaha Hadid) unter Beweis gestellt. Über den Köpfen der Büroarbeiter befördern Transportbänder halbfertige Autokarossen durch Hadids riesige architektonische Betonstrukturen.

Die Mischung offener Bürolandschaften mit Rückzugspavillons für intensive Gespräche und Kurzbesprechungen hat sich bereits bewährt und wurde auf der Orgatec mit einem "Best Office Award" der Wirtschaftswoche ausgezeichnet.

Kristallisationspunkte der Kommunikation

Vor allem die Premium-Anbieter wie Vitra, Bene oder Herman Miller versuchen, einen Teil der Rationalisierungsgewinne, die durch neue Großraumstrukturen entstehen, in durchdachte Ausgleichssysteme umzulenken. Während Bene seine "Open Office" mit dem neuen Programm "T-Plattform" und Cubicals anreichert, "Kristallisationspunkten der Kommunikation", wie Lenz formuliert, die im Prinzip jedem Mitarbeiter zur Verfügung stehen, aber nur für kurze Zeit genutzt werden dürfen, stellt Vitra neue Schreibtische und Sofas von Ronan & Erwan Bouroullec vor, deren hochgezogene Seitenelemente visuellen und akustischen Schutz inmitten eines turbulenten Großraums bieten und durchaus gemütlich wirken.

Die Devise lautet Schrumpfung auf hohem Niveau, und das scheint auch ein geheimes Motto der Orgatec zu sein, die nur mehr drei Messehallen füllt und dennoch bei vielen Ausstellern eine begeisterte Resonanz brachte. Konzentration hat dazu geführt, dass viele früher selbstständige Marken zu großen Firmenkonglomeraten gehören und lediglich als Name weiter existieren, allerdings oft ohne eigene Fertigung. Während mit Steelcase einer der Großen nicht mehr nach Köln kommt, kehrten beispielsweise B&B Italia oder Baleri zurück.

Dennoch sind herausragende Neuheiten mit hohem Innovations- oder PR-Wert rar. Ein besonderes Stück ist etwa der vergoldete Bürostuhl "Silver" des Hamburger Architekten Hadi Teherani. Hersteller Interstuhl will damit eine neue Manufaktur-Linie begründen. "Zweck und Nutzen", heißt es dazu im Pressetext, "sind bei einem solchen Produkt genauso nachrangig wie bei einem schnellen Sportwagen oder einem Schreibgerät, das mehr kostet als zwei Computer."

Ein zumindest konzeptionell überraschendes Möbel zeigte der auf Formholz-Schalen spezialisierte italienische Hersteller La Palma. Es stammt von den Berliner Designern Julia Läufer und Marcus Keichel und kehrt zu den Anfängen der Büromöbel zurück, als Lordosenstützen und mikromechanische Sitzverstellung noch unbekannt waren. Stattdessen verbinden die Designer Sitzschale und Gestell mit einer gedämpften Schwinge, einer Feder wie beim Mountainbike.

Innovationen sind mitunter unsichtbar: Etwa bei Vitras "Clima Seat" ein Vlies, das zwischen Polster und Bezug angebracht wird. Es entstammt dem Projekt "Sitzen ohne Schwitzen" und nimmt in kürzester Zeit extrem viel Feuchtigkeit auf, die schnell wieder abgegeben wird, sobald der Sitz - auch nur für kurze Zeit - nicht benutzt wird.

Verlässlich gut die zahlreichen Entwürfe des österreichischen Büros Eoos, das für Walter Knoll ein neues, kantiges Chefbüro namens "Ceoo" schuf, ebenso den Sessel "Drift" und den flachen Tisch "Think Park" mit verborgenen, lederbezogenen Klappen, die zusammen zu einer Lounge mit multimedialen Anschlüssen werden.

Allgegenwärtige Phase der Digitalisierung

Bei Wilkhahn überzeugen weniger die neuen Büromöbel als die "4C-Box" für Konferenzklapptische, mit der nicht mehr jeder einzelne IT-Anschluss separat verkabelt werden muss. Mit nur drei Steckverbindungen lassen sich bis zu 40 Konferenzteilnehmer mit der aktuellsten Medientechnik versorgen.

Im Rahmenprogramm "Ultima Office" mit Workshops und Vorträgen setzte die KölnMesse einen thematischen Rahmen. Experten wie der Zürcher Professor Ludger Hovestadt, der an der ETH Zürich Computer Aided Architectural Design (CAAD) lehrt, gaben Auskunft über ihre Zukunftsvisionen. Hovestadt erwartet eine neue Phase der Digitalisierung des Büros, die er mit der Entwicklung der chemischen Industrie vergleicht. Die sei heute zwar allgegenwärtig und unverzichtbar, werde jedoch nicht mehr bewusst wahrgenommen.

Hovestadt spricht von einer "Krise der Möbelindustrie", die "unrealistisch komplizierte Objekte" entwickelt habe. Die eigentliche Innovation jedoch sei das Netzwerk. "Deshalb suchen wir nach System-Innovationen. Deshalb werden Prozesse und Systeme interessant, die einzelnen Komponenten werden aber reduziert auf das, was sie wirklich sein müssen." Eine These der Orgatec-Experten, für die sich durchaus Belege schon in der Gegenwart finden lassen: Technik wird kaum mehr sichtbar sein. Sie ist integriert in Möbel und Gebäude, identifiziert den jeweiligen Benutzer und stellt spezifische Zugänge zu kontingentierten Kommunikations- und Datenströmen her. Statt Geräten gäbe es demzufolge nur noch Oberflächen, die als Interface dienen. Ein Tisch wird auch als Tastatur dienen, eine Wand auch als Bildschirm.

Noch sind wir von dieser Zukunft weit entfernt. In der Vergangenheit versuchte die Büromöbelindustrie, ihre Neuheiten mit Schlagworten wie dem "Home Office" schmackhaft zu machen, das 1998 die Verlagerung der Büroarbeit ins Private propagierte. Doch das heimische Büro wurde eher auf normalen Küchentischen und mit Billigmöbeln organisiert als mit den aufwändigen Konstruktionen der Büroeinrichter. Im Jahr 2000 war von "New Work" die Rede, womit die weit gehende Verlagerung der Büroarbeit in flexible Kommunikationssituationen gemeint war. Alle Möbel bekamen nun Rollen und Klappmechanismen, um die damals unverzichtbare Dynamik auszustrahlen. Für Thomas Bene verkauft sich die Branche der Büromöbler immer noch zu schlecht. "Wir werden immer noch als Kistenschieber wahrgenommen." Man dürfe sich nicht auf ein Spezialthema konzentrieren, Glaubwürdigkeit und ein guter Produktmix sei entscheidend. An den Präsentationen vieler Mitbewerber stören ihn die Extreme: Lieblosigkeit und Überinszenierung.

Dabei ist das Büro ein gestalteter Lebensraum, dessen gestalterische Qualität durchaus mit anderen Orten wie Restaurants, Hotels und Shops gleichziehen könnte. Produkte und Ideen dafür gab es in Köln reichlich. (Thomas Edelmann/Der Standard/Rondo/10/11/2006)