Josef Pühringer: "Vor Neuwahlen darf man in einer Demokratie nie Angst haben. Man darf Neuwahlen aber auch nicht leichtfertig einsetzen."

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Josef Pühringer, Landeshauptmann in Oberösterreich, über das „inakzeptable Verhalten“ der SPÖ, Voraussetzungen für eine große Koalition, ungeheime Geheimgespräche, politische Stürme und den „Klimameister“. Mit ihm sprach Lisa Nimmervoll.

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STANDARD: Halten Sie den ÖVP-Vorschlag – zuerst U-Ausschüsse erledigen und dann erst Koalitionsverhandlungen – für ein realistisches Angebot, dass es demnächst wirklich zu einer großen Koalition kommt?

Pühringer: Diese Situation hat die SPÖ selbst herbeigeführt, indem sie die Untersuchungsausschüsse initiiert und den Angriff auf die ÖVP mit dringlicher Anfrage und den Äußerungen in den letzten Tagen gestartet hat. Die SPÖ muss wissen, was sie tut.

STANDARD: Ist nicht die Optik, dass eine Regierung, die abgewählt wurde, durch solche Aktionen ihre Amtszeit künstlich verlängert und der Bevölkerung diese Warterei zumutet, eine eher ungünstige?

Pühringer: Das müssen Sie die SPÖ fragen, die hat diesen Zustand durch ihr inakzeptables Verhalten herbeigeführt.

STANDARD: Will die ÖVP überhaupt eine große Koalition?

Pühringer: Die ÖVP ist sich ihrer großen Verantwortung bewusst. Aber Verantwortung und Voraussetzungen für eine Koalition sind zwei Dinge. Es braucht inhaltliche Übereinstimmung in den wesentlichen Vorhaben der nächsten vier Jahre und eine entsprechende Vertrauensbasis. Ohne diese Voraussetzungen ist eine Koalition nicht möglich, schon gar nicht eine große. Nicht wir haben die Vertrauensbasis zerstört.

STANDARD: Wie ernst ist das Angebot der ÖVP, bis Weihnachten durch zwei U-Ausschüsse zu hetzen, überhaupt zu nehmen, wenn man weiß, dass die vergangenen U-Ausschüsse durchschnittlich ein Jahr und acht Monate gedauert haben?

Pühringer: Ich bin der festen Überzeugung, dass man diese Themen, die offen liegen, rasch abhandeln kann. Es wird an der SPÖ liegen, die den Vorsitz auch im Parlament hat, dafür zu sorgen, dass es einen reibungslosen Ablauf der Untersuchungsausschüsse gibt.

STANDARD: Die ÖVP fordert immer vertrauensbildende Maßnahmen. Dann geht Bundeskanzler Schüssel her und plaudert das vertrauliche Gespräch beim Bundespräsidenten aus. Ist das vertrauensbildend?

Pühringer: Ich glaube, dass der Herr Bundeskanzler da nicht viel Neues erzählt hat, denn es wurden in den letzten Tagen ohnedies alle möglichen Teile dieses Gespräches der Öffentlichkeit bekannt gegeben. So viel ich weiß, war der Bundeskanzler der Letzte, der über dieses Gespräch in der Öffentlichkeit geredet hat.

STANDARD: Täuscht der Eindruck, dass die Probleme zwischen ÖVP und SPÖ auch in hohem Maße aus persönlichen Unverträglichkeiten der handelnden Personen rührt?

Pühringer: Das würde ich weniger behaupten, dass es persönliche Schwierigkeiten gibt. Vielmehr ist der Start der Verhandlungen natürlich unter keinem guten Stern gestanden, denn nach einem grauslichen Wahlkampf, den ausschließlich die Sozialdemokraten und die FPÖ zu verantworten hatten, war nicht zu erwarten, dass die Verhandlungen mit Liebe und Grießschmarrn beginnen.

STANDARD: Wie hoch schätzen Sie derzeit die Wahrscheinlichkeit für eine große Koalition in Prozenten ein?

Pühringer: Das ist in Prozenten nicht einzuschätzen, sondern hängt vom Verlauf der Untersuchungsausschüsse und vom Verlauf der Klimaentwicklung ab – und der Erste ist auch der erste Klimameister.

STANDARD: Was antworten Sie, wenn ich sage, eigentlich stehen im Moment alle Zeichen zwischen SPÖ und ÖVP auf Sturm und deuten auf ein baldiges Kentern, also Neuwahlen?

Pühringer: Ich würde mit der Bezeichnung „Sturm“ sehr vorsichtig sein. Ich würde meinen, dass die ÖVP – für die SPÖ kann ich das nicht beurteilen – sich ihrer großen Verantwortung bewusst ist und ganz sicher nicht leicht-fertig parteipolitisch motivierte Schritte setzt.

STANDARD: Keine Angst vor Neuwahlen?

Pühringer: Vor Neuwahlen darf man in einer Demokratie nie Angst haben. Man darf Neuwahlen aber auch nicht leichtfertig einsetzen. (STANDARD, Printausgabe 6.11.2006)