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Luzius Wildhaber, Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Seine Richter entschieden nun gleich dreimal pro STANDARD.

Foto: Reuters/Vincent Kessler
Die Begründungen heimischer Gerichte in allen drei Fällen reichten nicht aus, um Eingriffe in die freie Meinungsäußerung zu rechtfertigen, entschied der Menschenrechtsgerichtshof. Die verhängten Geldstrafen seien "in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Dem STANDARD und den drei betroffenen Journalisten sprachen die Straßburger Richter insgesamt 73.000 Euro Entschädigung zu. Zu zahlen hat sie die Republik.

"Hexenprozesse"

Fall 1: Samo Kobenter schrieb 1998 einen Kommentar über einen Linzer Richter. In einem Urteil hatte der keine kollektive Beleidigung Homosexueller in einem Zeitschriftenartikel gesehen, der Verbindungen zwischen Homosexualität und dem Tierreich zog.

Der Richter wurde verwarnt, seine Beispiele aus dem Tierreich nachträglich aus dem Urteil entfernt. Kobenter klagte er aber wegen übler Nachrede, da dieser kommentiert hatte: Urteile sollten sich heute "mehr als nur marginal von den Traditionen mittelalterlicher Hexenprozesse abheben". Kobenter wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, Berufungen blieben erfolglos. Erst Straßburg befand: Der Kommentar enthalte "auf Fakten basierende Werturteile" in "provokantem und übertreibenden" Formulierungen. Das sei aber "keine ungerechtfertigte oder destruktive Attacke" auf den Richter oder die Rechtsprechung.

Laut Urteil aus Straßburg schrieb auch Daniel Glattauer einen "gerechtfertigten Kommentar", als er im STANDARD über den Prozess gegen den ehemaligen FPÖ-Politiker Peter Rosenstingl berichtete, der 2000 wegen Betrugs und Untreue verurteilt wurde: Rosenstingl wollte Ewald Stadler "alle Unterlagen übergeben haben", der frühere FP-Klubchef konnte sich daran nicht erinnern.

"Aufgezeigt wurde darin in erster Linie die Ahnungslosigkeit der FPÖ in ihrer grotesken Rolle als Mitfinanzierer der Rosenstingl-Pleite", sagt Maria Windhager. Die STANDARD-Anwältin: "Ewald Stadler wurde als Spitzenrepräsentant stellvertretend für seine Partei aufs Korn genommen." Stadler klagte mehrfach. Die Straßburger Richter entschieden, der Artikel sei "als Werturteil und nicht als Feststellung eines Faktums zu verstehen".

"Ausreichende Fakten"

Fall 3 betrifft ebenfalls einen damaligen FPÖ-Politiker: Katharina Krawagna-Pfeifer, schrieb als Innenpolitikchefin des STANDARD über Jörg Haider: "Immerhin wurde Haider in erster Instanz in einem Strafverfahren verurteilt, weil er den guten Ruf eines Menschen und damit dessen Zukunftschancen ruiniert hat."

Haider klagte und bekam vom Oberlandesgericht Wien Recht. Den Vorsitz führte wie in den beiden anderen Fällen Richter Ernest Maurer, der auch auf Vorschlag der FPÖ im ORF-Kuratorium saß. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte widersprach: Für diese Passage gab es eine "ausreichende Faktenbasis". Öffentliches Interesse an Information über die persönliche Glaubwürdigkeit eines führenden Politikers wiege schwerer als dessen Interesse, seinen Rufes zu schützen. (Harald Fidler/DER STANDARD, Printausgabe, 3.11.2006)