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Ihre Trennungsgeschichte bringt Johanna Wokalek und Christian Nickel zu Fall.

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Ein leichtes Stück von von Neil LaBute transportiert halbgewichtige Fracht.

Wien – An diesem Mann kann alles und nichts stimmen. In seinem Anzug könnte ein reumütig gewordener Ex-Lover stecken, der seine früheren Freundinnen stets auf wenig ehrenhafte Art verlassen hat. Oder aber auch ein gnadenloser Schurke, der erneut zu verletzen droht – frei nach dem Motto "Let's hurt somebody":

In ihm steckt das Gute wie das Böse zugleich. Eine Unbehaglickeit, die US-Autor Neil LaBute in seinen Dramen auf zwingende Art immer wieder heraufbeschwört. "In bash – stücke der letzten tage" oder "The Shape of Things "oder "Tag der Gnade"; alle waren in den letzten Jahren im Burgtheater zu sehen.

In der deutschsprachigen Erstaufführung von "Some Girl(s)" am Akademietheater ist es ein Mann ohne Namen (Christian Nickel), der, bevor er nun selbst zu heiraten gedenkt, vier Frauen von früher trifft, um sich vorgeblich loszusprechen vom schlechten Gewissen, um die Vergangenheit, wie er immer wieder sagt, "auszubügeln".

Um Vergebung bitten, mit sich im Reinen sein: ein religiöses Gebot, das im Fall von LaBute freikirchlicher Prägung ist. Der Filmemacher und Dramatiker ist Mormone. wenn auch ein durch die in seiner Literatur geübte (Selbst-)Kritik praktisch andauernd vom Ausschluss bedrohter. Manche behaupten, LaBute sei der Gegenwartsdramatiker überhaupt, er beherrscht den lakonischen Tonfall von Abgründen heutigen Menschseins.

"Some Girl(s)" sind vier gelackmeierte Damen, die sich jede in einem anderen Hotelzimmer an einem anderen Ort (Seattle, Chicago, Boston und Los Angeles) ihrem ehemaligen Freund und fallweise Verlobten gegenüber sehen. Und nicht so recht wissen, wie ihnen dabei geschieht. Denn so sehr man dem schnieken Herrn im Patrick-Bateman-Anzug den guten Willen abnehmen möchte, so unscheinbar zieht er den Frauen dabei auch noch ein weiteres Mal eins über.

Gut und Böse

Sylvie Rohrer stochert als aufgekratzte, früh um ihren Traum gebrachte Frau (und jetzt Mutter) durch das erste, mittels Fototapete später stets neu variierte Hotelzimmer (Bühne: Erich Wonder): ein Doppelbett in Mahagony, zwei Fauteuils, ein Tisch mit Laptop, ein Flatscreen-Fernseher, eine Stehlampe. Sie hat er am Abschlussball betrogen. Es täte ihm leid. Wie schwer es ihm fällt, dies aber auch zu meinen, wird spätestens klar, wenn er sie indirekt beschuldigt, seinen Visionen leider doch nicht entsprochen zu haben: "Aus dir ist ziemlich genau das geworden, was ich mir so vorgestellt hatte."

Das klingt unmissverständlich, doch es gelingt der vordergründig unscheinbaren Darstellung Christian Nickels, die Doppeldeutigkeit seiner Figur im Oszillieren zu halten. Gnadenlos bleibt Nickel in dieser zweigleisigen Spur; er verrät sich durch nichts. Beides, die gute wie die böse Absicht, wäre denkbar, und diese Grundkonstellation stellt das Publikum vor die durchaus erschauernd lassende Tatsache der Unergründlichkeit.

Dieter Giesing, ein Regiemeister in Sachen Beziehungsdramen (man denke an seine Botho-Strauß-Arbeiten), hat diese deutschsprachige Erstaufführung geradezu zurückhaltend vom Blatt inszeniert. Er deutelt nicht herum, er lädt dem Stück nichts auf, er folgt einzig und allein der Tonlage der Dialoge.

Den Hang zum Boulevardesken lässt er vor allem im Entwurf der Figuren erkennen: Ins Zwielicht des bewährten Hotelzimmers tritt im zweiten Bild eine fabelhafte Johanna Wokalek als verklemmte Spaßhaberin. Die aus den Resten von Punk zusammengeflickte Dame rangiert auf der Liste der zu Treffenden unter dem Kapitel "interessante sexuelle Praktiken". Eine Verflossene, die schnell einmal "Kacke" sagt, um ihre Verzagtheit zu verbergen.

Mit einem hieb- und stichfesten Racheplan im Gepäck marschiert Petra Morzé als ehedem geschasste Madame ein; sie hat als Literaturdozentin einst gut in den Karriereplan des Halbherzigen gepasst. Splitternackt pflanzt sie sich vor ihm auf und verlangt ausgerechnet so ihre Würde zurück. Sie und ihr (im Auto unten wartender) gehörnter Ehemann wollen diesem Mega-Ex einen Denkzettel verpassen, ihn nötigen, seine Braut zu betrügen.

Unter all den Zurüstungen dieser bestens situierten, beherrschten Frau pocht aber das gebrochene Herz von früher. Morzé klopft wie rasend auf die Armbanduhr, fährt nervös durchs Haar, drückt ihre Highheels wütend in den Spannteppich. Sieg für ihn.

Einzig die junge Bobbi (Mareike Sedl) liest ihm später, im Hotel mit Meerblick, die Leviten. Doch selbst die Tatsache, dass ihm dieses Opfer nicht ganz glückte, rührt den emotionalen Triumphator, der Liebesgeschichten vorzüglich aus literarischen Gründen unterhält, nicht. Er telefoniert sogleich mit seiner nächsten.

"Some Girl(s)" ist ein Abend, der ohne dieselbe Gerissenheit auf dem Niveau einer Yasmina Rezas unterhält. Er gelingt aber nur dann, wenn er in feine Stimmlagen findet, das war nicht immer der Fall. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.10.2006)