Khol: „Wer sich gedemütigt fühlt, weil er stolz ist, wer überdurchschnittlich eitel ist, wer gekränkt ist, ist in der Politik unbrauchbar.“

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Nationalratspräsident Andreas Khol nimmt am Montag Abschied vom Parlament. Das Wahlergebnis hat ihn geschockt. Die Gründe sieht er im Besuch von Josef Taus bei Helmut Elsner. Und in den einschneidenden Reformen. Mit Khol sprach Michael Völker.

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STANDARD: Sie nehmen am kommenden Montag Abschied vom Parlament. Wird Ihnen nicht langweilig werden?

Khol: Nein, überhaupt nicht. Ich habe vier wunderschöne Jahre als Parlamentspräsident gehabt. Davor neun ebenso schöne Jahre als Klubobmann. Jetzt gibt es einen neuen Abschnitt. Ich werde mich nicht aus der Politik verabschieden, aber ich werde viele Dinge grundsätzlicher Natur tun, zu denen ich bisher keine Zeit hatte.

STANDARD: Nach der Wahl hatte man den Eindruck, Sie seien vom Ergebnis regelrecht geschockt. Haben Sie im Wahlkampf jemals mit dem tatsächlichen Wahlergebnis gerechnet?

Khol: Nein. Es war in der Tat so, dass bis zehn Tage vor der Wahl die Volkspartei geführt hat. Und es hat niemand damit gerechnet. Der große Umschwung kam mit der Berichterstattung über Taus bei Elsner.

STANDARD: Glauben Sie wirklich, dass das wahlentscheidend war?

Khol: Das hat nach meiner Analyse einen großen Teil der sozialdemokratischen Wähler, die so wie manche von uns, zur Wahlenthaltung tendiert haben, zur Wahlurne gebracht.

STANDARD: Was waren die Fehler, was hat die ÖVP falsch gemacht?

Khol: Wir haben das Schicksal erfolgreicher Reformparteien erlitten. Wir haben Reformen gemacht, die in langfristiger Verantwortung notwendig waren. Wir haben dabei natürlich Menschen belastet und Ewartungen zerstört, weil wir Privilegien genommen haben. Durchrechnungszeiträume bei Pensionen, höhere Lehrverpflichtungen und ähnliche Dinge. Und da hat man sich an der Wahlurne revanchiert.

STANDARD: Die SPÖ hat ja ganz offensichtlich auf eine Destabilisierung des ÖVP-Wählerpotenzials gesetzt, ist die Strategie gefahren, wir können nicht gewinnen, wir müssen schauen, dass wir weniger verlieren als die ÖVP. Hatte die ÖVP dieser Strategie nichts entgegezusetzen? Hat man das unterschätzt?

Khol: Dass beide in diesem Ausmaß verlieren, war von niemandem vorhersehbar. Der Negativwahlkampf war für Österreich etwas absolut Neues. Die Mediendominanz der Sozialdemokratie war eindeutig. Wir sind mit unseren Positivthemen Wirtschaftsstandort, Arbeitsstandort, Steuerreform, Entlastung, Sicherheit gegen den sehr lauten Negativwahlkampf nicht durchgekommen. Das, fürchte ich, wird Beispielsfolgerungen für alle Wahlkämpfe der Zukunft haben. Also, die schönen Tage von Aranjuez sind vorrüber. Jede Partei wird sich daran orientieren: Wenn man erfolgreich sein will, muss man den politischen Gegner massiv mit einem Negativwahlkampf problematisieren. Das wird eine Stiländerung im gesamten österreichischen Wahlkampf bringen.

STANDARD: Sie haben im Wahlkampf kaum Inhalte transportiert, nur Wohlfühl-Botschaften: „Unser Kanzler“, „Alles bleibt besser“. Da gab es doch kaum Inhalte.

Khol: Was Sie zitieren, sind Plakattexte. Plakate sind nicht der Wahlkampf und entscheiden nicht. Wir haben versucht, mit sehr kostspieligen Inseraten, weil wir sonst gar nicht durchgekommen sind, unsere Positivthemen zu platzieren. Aber im Wahlkampf gilt, dass die schlechte Botschaft die gute verdrängt.

STANDARD: War das nicht etwas protzig, bei _allen Tageszeitungen die Seite 1 zu kaufen?

Khol: Wir haben das machen müssen, weil wir mit unseren Positivbotschaften nicht durchgekommen sind. Wenn wir unsere Erfolge darstellen wollten, haben die Medien geschrieben, die ÖVP lobt sich selbst. Heute sagt man, ihr habt’s eure Erfolge zu wenig kommuniziert. Da liegt ein großes Dilemma drinnen. Reformparteien, die das Richtige tun, werden abgewählt und bekommen in zehn Jahren Recht. Das ist ein Schicksal.

STANDARD: Wird Wolfgang Schüssel Vizekanzler in der großen Koalition?

Khol: Es gibt für alles eine Zeit. Jetzt ist die Zeit für Regierungsverhandlungen. Da werden Personalfragen überhaupt nicht erörtert. Jetzt müssen die sachlich Kundigsten, dazu gehört sicherlich der Bundeskanzler, die Regierung verhandeln. Ich werde nicht gute, zielführende Verhandlungen durch Personaldiskussionen stören.

STANDARD: Der ÖVP wird eine hohe Wirtschaftskompetenz attestiert. Die Sozialkompetenz wird ihr oft abgesprochen. Gibt es da tatsächlich ein Defizit, oder ist das ein Verkaufsproblem?

Khol: Ich glaube nicht an Verkaufsprobleme. Es gibt keine Verkaufsprobleme. Es gibt Probleme, wie die Medien in dem Land gestaltet sind, es gibt Probleme, wie die Bevölkerung Dinge sieht. Politische Probleme auf Verkaufsprobleme zu reduzieren halte ich für falsch. Wir haben als verantwortliche Regierung die Wahl gehabt, gefällig zu sein, solange eben das Geld reicht, oder die Nachhaltigkeit der Sozialsysteme durch zeitgerechte Reformen sicherzustellen. Wir haben durch Reformen bis 2050 die Pensionen gesichert.

Dazu hat es Schnitte geben müsse, das hat uns Stimmen gekostet. Aber die Reform war richtig. Das Gleiche betrifft die Studiengebühren. Die Reform war absolut richtig. Trotzdem haben uns viele deswegen nicht gewollt. Das heißt den Kampfbegriff der sozialen Kälte dem Kampfbegriff der sozialen Verantwortung gegenüberzustellen. Verantwortung für die langfristige Absicherung eines solidarischen Sozialsystems. Das geht nur mit Opfern.

STANDARD: Gibt es in der Politik eigentlich eine Kategorie Verletzung, Kränkungen?

Khol: Wer sich gedemütigt fühlt, weil er stolz ist, wer überdurchschnittlich eitel ist, wer gekränkt ist, ist in der Politik unbrauchbar. Ich bin nicht der Meinung, dass man eine Lederhaut über die Seele ziehen muss, aber man muss unterscheiden können, was ist eine harte, sachliche Auseinandersetzung, was ist persönliche Gemeinheit. Persönliche Gemeinheiten gibt es immer wieder, die vergebe ich nicht. Harte politische Kritik nehme ich entgegen.

STANDARD: Ist die große Koalition aus Ihrer Sicht zwingend, oder gibt es Alternativen dazu?

Khol: Wir verhandeln jetzt ohne doppelten Boden, im ehrlichen Bemühen um eine stabile Regierung. Ich hoffe, dass wir uns alle klar sind, dass keiner von uns den Auftrag bekommen hat, seine eigenen Anliegen zu 100 Prozent durchzusetzen. Ob wir zu einer Regierung kommen werden – ich weiß es nicht. Ich werde meinen Beitrag leisten. Aber am Ende des Tages wird unter alles ein Strich gezogen werden, und dann wird man sehen, ob wir zusammenkommen. Ich hoffe, dass wir zusammenkommen.

STANDARD: Haben Sie ihre Abschiedsrede für das Parlament schon vorbereitet?

Khol: Nein, habe ich noch nicht. Ich mach das am Sonntag in der Früh vor der „Pressestunde“.

STANDARD: Wird es ein emotionaler Abschied?

Khol: So, wie ich mich kenne, ist immer Emotion dabei. Ich werde aber sicher mit den Worten enden: „Es lebe die Republik Österreich.“ (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.10.2006)