Wolfgang Schüssel mahnte seinen Nachfolger zu Verantwortungsbewusstsein sowie Achtung vor den demokratischen Grundwerten: "Wer auch immer in Zukunft an diesem Ministerratstisch Platz nehmen wird, muss immer die Gesamtinteressen den Einzelinteressen mancher Gruppen voranstellen."

Der Nationalfeiertag stand politisch ganz im Zeichen der Appelle zur Wahrung der Stabilität. Bundespräsident Heinz Fischer sieht in der großen Koalition eine gute Lösung. Kanzler Wolfgang Schüssel mahnte seinen Nachfolger, stets die Gesamtinteressen zu wahren.

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Wien - Der Nationalfeiertag hat seine festen Rituale, bei denen zwischen Truppenparade und Kranzniederlegung immer auch die österreichische Identität beschworen wird - oder was die Politiker dafür halten. Unausweichlich werden sich diese an jedem 26. Oktober des Jahres über ihre Verantwortung der Stabilität des Staatsganzen gegenüber bewusst und sprechen sie auch unerschrocken an.

Kanzlermund

Diesmal mischten sich ausgerechnet aus dem sonst eher emotionslos arbeitenden Kanzlermund stark nach Abschied und Rückbesinnung klingende Töne dazu. Im Sonderministerrat sprach Wolfgang Schüssel direkt indirekt seinen Nachfolger an und mahnte dessen Verantwortungsbewusstsein sowie Achtung vor den demokratischen Grundwerten ein: "Wer auch immer in Zukunft an diesem Ministerratstisch Platz nehmen wird, muss immer die Gesamtinteressen den Einzelinteressen mancher Gruppen voranstellen."

Er übergebe der nächsten Regierung "ein gutes Land", meinte Schüssel. Auch nach dem Wahlkampf könne man feststellen, dass Österreich gut aufgestellt und "bestens gerüstet" für die Zukunft sei. Dem Land sei es "noch nie so gut gegangen wie heute", konnte der Kanzler nicht umhin, sich und seiner Regierung noch einmal auf die Schultern zu klopfen.

Wunsch nach politischer Stabilität

Bundespräsident Heinz Fischer stellte den Wunsch nach politischer Stabilität in den Mittelpunkt seiner Fernseh-Ansprache zum Nationalfeiertag. Eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP sei "unter den gegebenen Umständen eine gute Lösung", betonte Fischer. Er halte eine Dreier-Koalition "für äußerst unwahrscheinlich" und nichts davon, wenige Wochen nach der Wahl mit einem neuerlichen Urnengang zu spekulieren: "Ein solcher Plan würde sich wohl dem Verdacht aussetzen, dass ein demokratisches Wahlergebnis korrigiert werden soll." Zur Frage einer Minderheitsregierung merkte Fischer nur an, dass es unter den gegebenen Umständen keinen Anlass gebe, darüber nachzudenken, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche infrage kommen könnte.

Rot-schwarze Fakten

SP-Vorsitzender Alfred Gusenbauer legte neben einem Bekenntnis zur Neutralität Österreichs auch eines zur großen Koalition ab. Die von den Wählern am ersten Oktober geschaffenen "Fakten" legten eindeutig diese Koalitionsform nahe, sagte Gusenbauer, und zwar so nahe, dass es noch heuer eine entsprechende Regierung geben sollte. Daher sollten SPÖ und ÖVP möglichst rasch zu einem gemeinsamen Regierungsprogramm kommen, "das für Österreich gut ist, weil es das Beste aus unseren jeweiligen Vorschlägen und Konzepten enthält".

Dem Anlass gemäß - der Beschlussfassung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität vor 51 Jahren - ging Gusenbauer auf ihre zeitgemäße Bedeutung ein: "Für die SPÖ bedeutet Neutralität nicht, teilnahmslos herumzusitzen, sondern sich in der EU und darüber hinaus für Frieden, Menschenrechte, Demokratie und sozialen Ausgleich einzusetzen." (Samo Kobenter, DER STANDARD, Printausgabe 27.10.2006)