Italiens grüner Umweltminister Scanio will lieber bereits vorhandene Kapazitäten auf der Schiene nutzen, als einem "gigantischen Tunnel" zuzustimmen.

Zur Person
Alfonso Pecoraro Scanio, 47, ist Präsident der italienischen Grünen und Umweltminister. Der Anwalt und Journalist sitzt seit 1992 im Parlament und war im Jahr 2000 Agrarminister im Kabinett Amato II.

Foto: Standard/Umweltministerium Rom
STANDARD: Herr Minister, die EU hat kürzlich das Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention unterschrieben, nachdem es fünf Jahre in Brüssel vorlag. Wieso hat der Widerstand Italiens so lang gedauert?

Pecoraro Scanio: Die Regierung Berlusconi war mit dem Verkehrsprotokoll nicht einverstanden. Sie hat es praktisch bekämpft, weil sie daran interessiert war, große Projekte zu realisieren, auch neue alpenquerende Autobahnen.

STANDARD: Die das Verkehrsprotokoll aber verbietet.

Pecoraro Scanio: Und eine Alpenkonvention ohne Verkehrsprotokoll würde deren Wert aushöhlen. Es gibt jetzt mit Mitte-links einen Kurswechsel in der Umweltpolitik, also auch in der Verkehrspolitik. Wir haben uns vor der Wahl für die Alpenkonvention ausgesprochen. Und Transportminister Alessandro Bianchi hat daher das Protokoll beim EU-Verkehrsministerrat unterzeichnet.

STANDARD: In Italien selbst fehlt aber die Ratifizierung durch das italienische Parlament. Das Abkommen ist daher in Italien noch nicht in Kraft, im Unterschied zu Österreich.

Pecoraro Scanio: Die Regierung wird in Kürze dem Parlament den Gesetzesvorschlag vorlegen.

STANDARD: Die Brennerroute ist die vom Straßentransit am meisten frequentierte Nord-Süd-Achse. Es gibt enorme Zuwächse, eine Verdoppelung in 15 Jahren, mit starken Belastungen für Umwelt und Bevölkerung. Eine der Hauptursachen ist der niedrige Preis, den Lkws am italienischen Abschnitt bezahlen. Was wollen Sie dagegen tun?

Pecoraro Scanio: Der Preis ist vor allem deshalb so niedrig, weil die Regierung Berlusconi den Transporteuren Geschenke gemacht hat. Auch hier ist ein Kurswechsel nötig. Man muss durch eine Mauterhöhung für Lkws das Befördern von Gütern auf der Straße erschweren und Anreize für den Schienentransport bieten.

STANDARD: Das müsste allerdings eine entschiedene Erhöhung sein.

Pecoraro Scanio: In den Preis müssten künftig auch jene Kosten einfließen, die durch die hohen Belastungen entstehen, die der Transport auf Rädern verursacht. Vorerst kommt gerade vom Brenner eine erste interessante Antwort: Nach und nach sollen ja jene Lkws, welche die Umwelt am meisten belasten, von der Straße verbannt werden.

STANDARD: Als Lösung für die verkehrsbedingten Belastungen wird der Brennerbasistunnel präsentiert. Bisher ist nicht klar, wer ihn bezahlen soll. Noch weniger steht fest, ob er ausgelastet sein wird. Kann das eine Lösung sein?

Pecoraro Scanio: Ich meine, die Bevölkerung vor Ort muss angehört werden. Ein Bauprojekt von diesen Dimensionen muss mit jenen diskutiert werden, die dort leben. Wir sind dabei, jenes Gesetz zu ändern, das die Regierung de facto ermächtigt, große Projekte auch ohne Mitsprache der Betroffenen zu realisieren.

STANDARD: Was halten Sie vom Tunnel?

Pecoraro Scanio: Wir Grüne, und das ist meine Position als Minister, sind sehr wohl auch für alternative öffentliche Bauinvestitionen, aber gegen leere Kathedralen. Es besteht ernsthaft die Gefahr, dass der Tunnel nicht ausgelastet sein wird. Ein gigantischer Tunnel, der halb leer bleiben könnte, findet meine Zustimmung nicht. Das hat keine Priorität.

STANDARD: Welche Lösungsansätze für die Verlagerung auf die Schiene sehen Sie?

Pecoraro Scanio: Zuerst gilt es, die Warenströme auch auf andere transalpine Routen durch eine andere Politik zurück zu verlagern. Dann auch vorhandene Kapazitäten auf der Schiene zu nutzen. Dazu gehört eine Verbesserung des Angebots auf der Strecke Verona-Brenner. Und erst dann den Tunnel zu bauen, wenn es noch nötig sein sollte. (Benedikt Sauer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.10.2006)