Illegale Demos
Gegen Mitternacht verdrängten die Ordnungshüter die Demonstranten von der Ringstraße in Richtung Westbahnhof. 15 Mann starke Trupps durchkämmten auch die Nebenstraßen, um abtauchender Demonstranten habhaft zu werden. Die Rechtslage war klar: Die Kundgebungen, die am Montagnachmittag begonnen und die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des ungarischen Volksaufstands entwürdigt hatten, waren nicht angemeldet und daher illegal.
Die Vorgangsweise der mit Schildern, Schlagstöcken, Knieschutz und Helmen bewehrten Bereitschaftspolizisten war hart, um nicht zu sagen, brutal. In einer Parallelstraße zum Ring stieß so ein Trupp auf einen ausgemergelten ärmlich gekleideten Mann. Sie stießen ihn rüde herum, rempelten ihn gegen eine Hauswand. "Warum ich, warum ich?", schrie er. Es ist nicht sehr wahrscheinlich - aber auch nicht gänzlich auszuschließen -, dass er mitdemonstriert hatte. Die Polizisten ließen ihn laufen.
Am Pester Brückenkopf der Elisabethbrücke blieb um Mitternacht der letzte Haufen von rund 500 Militanten übrig. Die Kossuthstraße, die zur Brücke führt, hatten sie mit einer Barrikade aus Baumaterialien abgesperrt. In 70 Meter Entfernung gingen rund 200 Bereitschaftspolizisten und zwei Wasserwerfer in Stellung. Auch hier passierte zunächst ein paar Stunden gar nichts. Das Polizeikontingent wuchs durch Verstärkungen aus der Provinz - ein gemieteter privater Autobus aus dem südungarischen Szeged war zu sehen - auf gut 500 Mann an. Wenn Gruppen von Demonstranten einen Ausbruchsversuch unternahmen, feuerten die Polizisten Tränengas ab. Zwischendurch setzten sie sich auf den Boden und verzehrten Sandwiches.
Als um 1.30 Uhr der Schneepflug eintraf, wurde es ernst. "Truppe, macht euch bereit", erschallten die Kommandorufe. Auf der anderen Seite hatten sich die Reihen inzwischen stark gelichtet. Der Großteil der Demonstranten war inzwischen über die Brücke nach Buda spaziert, weniger als 100 waren noch geblieben. Der Lautsprecherwagen der Polizei forderte die Menge auf , sich zu zerstreuen. Eine reine Formalität, denn zugleich setzten sich der für die Barrikadenräumung gedachte Schneepflug, die Wasserwerfer und das Polizistenheer in Bewegung. Die Ordnungshüter verschossen Salven von Tränengasgranaten, die Wasserwerfer versprühten blau gefärbtes Wasser, das auch eine spätere Festnahme fliehender Demonstranten ermöglichen sollte.
Nach wenigen Minuten waren die Militanten geflohen. Nur ein Häuflein von fünf oder sechs besonders hartgesottenen Kämpfern warf noch Steine in Richtung Polizisten, einer einen letzten Molotow-Cocktail, der aber 20 Meter vor der ersten Polizistenreihe wirkungslos verglühte. Die Pose schien perfekt: die zum Steinwurf hochgereckten jungen Männer hinter der Trümmerbarrikade verwandelten sich im Zwielicht der die Tränengasschwaden kaum durchdringenden Scheinwerfer der Polizeifahrzeuge sekundenlang zu heroischen Schemengestalten. 50 Jahre nach 1956 inszenierten sie ihre private Pseudo-Revolution.
Durch Nebengassen