Bild nicht mehr verfügbar.

Grafik: Archiv
Vorweg: Journalisten fürchten Postings. Und sind gleichzeitig süchtig danach. Dazu ein paar Informationen aus dem Inneren des Bergwerks: Tag für Tag präsentiert Online-Chefin Gerlinde Hinterleitner via "Mail an alle" Zugriffszahlen der aktuellen Standard-Ausgabe. Dieser Liste ist zu entnehmen, wie oft in den letzten 24 Stunden bestimmte derStandard.at-Artikel angeklickt wurden. Tagespolitik, In- und Ausland sowie Kommentare sind quer durch alle Themen beliebt, nicht selten mischt das TV-Tagebuch in dieser Kategorie mit.

Das ist so weit noch nichts zum Fürchten.

Ungemütlich wird es meistens, wenn man diese Artikel noch einmal im Internet aufruft und einen Blick ans Ende wirft. Was so ziemlich jeder Journalist zumindest ab und zu macht. (Beteuerungen von Kollegen, die behaupten, Postings "schon ewig" nicht mehr zu lesen, sind ungefähr so glaubwürdig wie die Information derselben Menschen, man sehe im Fernsehen nur Nachrichten und Dokus.) Das Lesen von Postings gehört zu jenem Teil des Tagesgeschäfts, für den sich eine stabile Psyche empfiehlt. Der gemeine Poster zeichnet sich nämlich durch ein gerüttelt Maß an Gnadenlosigkeit aus. In ihm offenbart die Volksseele ihre Neigung zum Vollstreckertum.

Harsch

Natürlich sind wir dankbar für den Dienst an der Qualität. Seit es die Möglichkeit zur unmittelbaren Reaktion gibt, bleibt keine Ungenauigkeit unentdeckt. Poster gehören zu unseren strengsten Korrekturlesern. Wiewohl sie uns wirklich nichts schenken: "Von allen unnötigen Artikeln der letzten Monate ist dieser wohl der unnötigste", kanzelte fetznpupperl ein Sarah-Kuttner-Interview ab. Besonders schmerzhaft ist auch das flüchtig hingeworfene "Gäähn". Oder das vernichtende "Schlecht recherchiert". Als gelungen darf ein Artikel umgekehrt dann gelten, wenn die Poster möglichst bald beginnen, sich untereinander zu beflegeln - und darob vergessen, sich auf den Autor zu stürzen. Viel mehr an Aufmunterung ist nicht drin. Da darf man eben nicht empfindlich sein. Entsprechend Hinterleitners Zugriffszahlen ist der Schluss zulässig: Wer im Internet etwas liest, muss zwangsläufig dazu seinen Senf abgeben. Und der ist, nicht bös sein, mitunter ätzend scharf.

Spitzen

Rund 2000 solcher Senfspritzer zählte zum Beispiel ein Bericht zum Ergebnis der Nationalratswahlen. In den Postings ging es um das eigentliche Thema nur mehr am Rande. Eine wütende Diskussion entbrannte etwa über die Frage, wie sich die Entscheidung auf die Aktienkurse auswirken werde.

Zensur!

Sehr ungemütlich können User auch über schlechtes Fernsehprogramm werden. Dafür auch noch Gebühren zu bezahlen wollen viele nicht einsehen und beklagen sich gerne und wiederholt darüber. Legendär ist auch der Typ "Verschwörungstheoretiker" - weil seine wüsten Beschimpfungen anderen Usern erspart bleiben sollen und deshalb vom Online-Team sorgsam entfernt werden, schreit er empört: "Zensur!"

Freude

Manche wollen darin eine Tendenz zum Nörgeln sehen. Und wenn auch der Lust am Rechtbehalten oft überdurchschnittlich stark nachgegangen wird, gibt es doch viel Platz für fröhlichen Nonsense: Als Eurofighter-Alternative "Fesselballongs" mit Polizeiaufschrift vorzuschlagen oder sachverständig das Fußballmatch vom Wochenende zu besprechen ("AUSWÄRTSSIEG =))i)n)s)i)d)e)r) =)=)=)=)=)=)=)))=)=) =)=)=)=)=)==)=)=)=)=)==)==)==))."), bereitet auch dem geprügelten Journalisten Freude.

Rekord

Mehr als 11.000 Postings und damit Platz eins der ewigen derStandard.at-Bestenliste erzielte übrigens bis dato ein Forum, in dem sich User seit März über die "bolivarianische Revolution" von Hugo Chávez austauschen . Wer zu solchem Niveau beisteuert, dem sei das Meckern erlaubt. (Doris Priesching / DER STANDARD Album, 21.10.2006)