Mercado dos Lavradores (Bauernmarkt) in Funchal.

Foto: Madeira Tourism
Hat sich ein Vorurteil erst einmal festgesetzt, wird man es so schnell nicht mehr los. Madeira, die portugiesische Insel des ewigen Frühlings, galt jahrhundertelang als Reiseziel des europäischen Adels und der Prominenz: Kaiserin Sisi kurierte im milden Klima ihre Lunge, Königin Elisabeth I. und Winston Churchill kamen, um sich vom Duft der Rosen betören zu lassen. Und die Kreuzfahrtschiffe, die folgten, brachten nicht nur Scharen von Touristen in den Hafen von Funchal, sondern auch nachhaltig das Stigma der "Pensionisteninsel".

"Das stimmt so nicht mehr", sagt Reiseführerin Cecilia Gois Viveiros und schiebt ihre Victoria-Beckham-Sonnenbrille ins kolorierte Haar. Sie hat Deutsch, Französisch und Englisch auf der Insel gelernt. Ihr lässiger Stil mit weißer Tunika und Hose, Mokassins, silberner lange Kette und großen Perlohrringen spiegelt das Laisser-faire der Madeirer wider. "Langweilig wird es mir hier eigentlich das ganze Jahr nicht", sagt Cecilia. "Wir haben in Funchal Bars, Clubs und jede Menge Szeneshops." Jetzt, um kurz nach halb zwei Uhr morgens, sitzt Cecilia im gerade eingeweihten "Fashion Club" mit Blick auf den Hafen. Im Hintergrund läuft leise Loungemusik der Buddha Bar. "An Wochenenden komme ich hier nicht vor fünf raus", erzählt sie lachend.

Dennoch ist es nach wie vor die Natur, die Urlauber nach Madeira zieht. Denn die Insel, die aus einem Vulkan entstand, hat Berge, die fast senkrecht aus dem Meer zu wachsen scheinen. Eine Sage gibt das so wieder, dass Madeira das letzte Stück des untergegangenen Kontinents Atlantis sei. In der Verlorenheit jedenfalls trifft man das ganze Jahr über Touristen mit schweren Rucksäcken. Denn das Einzige, was auf Madeira fehlt, sind Hütten zum Einkehren.

Doch seit einigen Jahren gibt es noch einen anderen Grund, nach Madeira zu reisen: Auf der Insel, und vor allem in der Hauptstadt Funchal, hat sich eine sehr lebendige, dynamische Szene entwickelt. Jeder Impuls aus den Metropolen Europas wird sofort aufgesogen. Das immergrüne Blatt hat sichauf Madeira gewendet.

Cecilia Viveiros kennt die Hotspots der Vulkaninsel im Atlantik: Bei ihren Führungen steuert sie das Reid's Hotel an - immer noch ein Muss jeder Funchal-Tour - aber auch den Mercado dos Lavradores, den Bauernmarkt. Die Markthalle von 1914 ist Brennpunkt des städtischen Lebens und präsentiert nahezu alles, was auf dem fruchtbaren Inselboden gedeiht. Cecilia schlüpft an einem Tisch mit extragroßen Papayas vorbei, hindurch zum Stand mit dem Zuckerapfel, einer süßen Mischung zwischen Birne und Apfel. Und bei ihrem Gang durch die Hauptstadt zeigt sie natürlich gerne die frisch renovierten Fassaden der Kolonialhäuser. In einem habe Kolumbus einige Zeit gewohnt.

Theater-House

Inzwischen gibt es allerdings in der Avenida Arriaga, der schwarz-weiß gepflasterten Hauptstraße, einige Bars wie das Szenecafé "do Teatro", die die Farben Madeiras mit minimalistischem Design kombinieren, in denen Galão, der madeirische Milchkaffee im Glas geschlürft wird und im Hintergrund House-Musik läuft. Für Milieustudien begibt man sich am besten auf die Empore im Lokal. Und die ergeben meist: In Funchal nimmt die Zahl der weißen Stoffhutträger rapide ab.

Das beweist auch ein Paar, das man eher in London als in Funchal vermuten würde: Sie trägt Plateaustiefel, wasserstoffblond gefärbtes Haar und er Glatze. "Junge Paare kommen immer öfter auch für die Flitterwochen", erzählt Cecilia, und weil sie in den neuen Boutiquen wie "Balthasar" oder dem Schuhgeschäft "Último Século" shoppen können, in denen die Preise in den Auslagen oft dem Monatsgehalt der Angestellten entsprechen.

Evergreen Natur

Doch selbst für die jüngeren Style-Jäger bleibt die Natur Madeiras der eigentliche Evergreen, kann man ihr doch auf zwei Wegen recht unangestrengt nachfahren: über die Schnellstraße, die oft durch Tunnel führt, oder über Serpentinen, die allerdings nur etwas für Waghalsige sind. Viele der Straßen sind steil, und große Höhenunterschiede in wenigen Minuten verlangen vom Fahrer volle Konzentration. Regnet es im Inselinneren, leiten die Levadas, das im 15. Jahrhundert angelegte Bewässerungssystem aus Kanälen und Bächen, das Wasser zur trockeneren Südseite. Dort schwappt es an manchen Stellen einfach in Kaskaden auf die Straße. In mühevoller Handarbeit wurden die Terrassenhänge von Siedlern angelegt - für Maschinen waren die Hänge zu steil. Das Bewässerungssystem ist noch intakt und erstreckt sich über 2000 Kilometer, bewässert etwa 95 Prozent der Felder und stellt ein natürliches Wegenetz dar.

Die echten Wanderer wissen das freilich zu schätzen. Denn die Levadas sind so angelegt, dass man daran meist bequem entlanggehen kann. Zu einem gerade neu erschlossenen Levadaweg, der "Levada Nova", fährt man von Ponta do Sol im Südwesten der Insel aus erst ein Stück die Straße hinauf. Dort gelangt man zum Kanal, der zuerst durch Vorgärten mit blühenden Astern in allen Farben führt. Weiter schlängeln sich die Levadas an Zitronenplantagen vorbei, deren saure Früchte wie im Schlaraffenland quasi in den Mund des Wanderers hängen. Unmittelbar nach diesem üppigen Abschnitt führt die Levada an kargen Felswänden entlang, die nur mit kleinen Kakteen bewachsen sind. Unverändert bleiben lediglich die großartigen Ausblicke auf Täler und Meer.

Für Wanderer - aber ebenso für Liebhaber guten Designs - ist in Ponta do Sol das Hotel Quinta da Rochinha gleichsam ein Ziel, exponiert steht es auf einem Felsenvorsprung. Der Blick von der Bar hoch über den Meeresklippen führt bis zum Horizont. Hotelier André, der selbst gerne feiert, vertraut seinen Gästen: Der Kühlschrank seiner Bar ist immer gut gefüllt, wer sich einen Drink holt, zeichnet diesen mit einem Strich auf einer Liste ab. Die ganze Quinta ist im lässigen Lounge-Ambiente gehalten, mit dem üppigen Garten kontrastieren auch hier weiße Möbel. Dass dieser Ort nicht nur aus der umliegenden Natur einen Festakt macht, sondern dort auch kräftig gefeiert wird, blieb dem jungen, urbanen Publikum keineswegs verborgen. (Bettina Haase/Der Standard/Printausgabe/21./22.10.2006)