Enttäuschendes Ergebnis der ÖGB-Urabstimmung für den Gewerkschaftspräsidenten Rudolf Hundstorfer: Er muss sich die Reformimpulse nun aus Betriebsrätekonferenzen und von Teilgewerkschaften mit entgegengesetzter Position holen.

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Skeptische Mitglieder, die an der Befragung durch die Gewerkschaft unerwartet wenig Interesse zeigen, auf der einen und auf Mitsprache drängende Betriebsräte auf der anderen Seite: Die Reformdiskussion bringt die ÖGB-Spitze unter Druck.

Wien – Es gibt auch den einen oder anderen höchst angenehmen Termin für Rudolf Hundstorfer. Am 1. November zum Beispiel – da wird er im Wiener Messezentrum 1500 Delegierte zur Gründung des Weltgewerkschaftsbundes IGB empfangen können und feiern, dass damit rund 190 Millionen Arbeitnehmer aus der ganzen Welt eine gewerkschaftliche Vertretung bekommen.

Geht es um die gewerkschaftliche Vertretung in Österreich, wird es schwieriger: Nur rund 80.000 Arbeitnehmer haben sich bis Mittwochabend an der Umfrage über die Zukunft der Gewerkschaftsbewegung beteiligt. Der Präsident selber hatte sich eine viel höhere Latte gelegt, rund 250.000 Stimmen von Arbeitnehmern (eingeladen waren auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder) wollte er hören.

Trost von Sozialwissenschaftlern

Trost versucht ihm eine von Sozialwissenschaftlern gegründete „Initiative zur Verteidigung der Gewerkschaftsbewegung“ zu spenden: „Der scheinbar niedrige Prozentsatz der Antworten auf die Umfrage des ÖGB bei seinen Mitgliedern entspricht durchaus der Norm, es ist bekannt dass der Rücklauf bei schriftlichen Befragungen zehn bis 15 Prozent beträgt. Selbst eine im Frühjahr 2006 mit persönlichem Brief durchgeführte Meinungsbefragung bei Meinungsbildnern brachte bei 4700 angeschriebenen Personen einen Rücklauf von 320 Antworten.“

Andererseits hat die vor fünf Jahren durchgeführte Urabstimmung (an der nur Mitglieder teilnehmen durften) 806.545 ausgefüllte Fragebögen ergeben.

Aber auch ÖGB-Vizepräsident Karl Klein, Obmann der christlichsozialen Minderheitsfraktion FCG, springt dem Sozialdemokraten Hundstorfer bei: „Der geringe Rücklauf ist nicht so ein Problem – mit dem sicher gut gemeinten Fragebogen war ich eh nicht so zufrieden.“ Viel relevanter sei, was nun in den landauf, landab stattfindenden Betriebsrätekonferenzen diskutiert werde.

Wählen von unten

Klein: „Eine pseudodemokratische Wahl des ÖGB-Präsidenten ist nicht das, was die Betriebsräte wollen, hier wird ja nicht der Bundespräsident gewählt.“ Vielmehr wiederhole sich ständig der Wunsch, auf den unteren Ebenen der Gewerkschaften alle Funktionen direkt wählen zu können.

Und da beginnt es sich zu spießen. Zwar ist allen Beteiligten klar, dass es eines „Kulturbruchs“ bedarf, wie es Wolfgang Katzian von der Angestelltengewerkschaft GPA formuliert: „Wir müssen die Kultur, die uns dahin gebracht hat, wo wir sind, überwinden.“ Was aber von den vorhandenen Strukturen zerschlagen werden soll und wo Betriebsräte und Mitglieder künftig ihre Ansprechpartner in der Gewerkschaft finden sollten, ist höchst umstritten.

Katzian spricht sich dafür aus, dass es künftig nur eine Gewerkschaft für alle geben soll: Sollten seine Vorstellungen nicht umgesetzt werden, würde die GPA weniger Mitgliedsbeiträge an die Dachorganisation abliefern. Ähnliches hatte die Beamtengewerkschaft GÖD im September angedroht – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Die öffentlich Bediensteten wollen mehr Selbständigkeit – oder weniger zahlen.

Branchenspezifisch

Klein sagte dem STANDARD, der wichtigste Wunsch bei den Betriebsrätekonferenzen sei, dass sich die Betriebsräte und Mitglieder mit einer Fachgewerkschaft identifizieren wollten, es müsse also branchenspezifisch organisiert werden. Katzian gibt zu bedenken, dass sich die großen Konzerne „nichts pfeifen, zu welcher Branche sie gehören“, die würden die Gewerkschaften auslachen. Eine Vielfalt fachlicher Betreuung sei auch so zu gewährleisten.

Der weitere Fahrplan: Noch bis Mitte November gibt es weitere Betriebsräte-Konferenzen, deren Ergebnis wird dann für die Klausur im Architekturzentrum zusammengefasst und dann als Vorschlag für den ÖGB-Bundeskongress (22. bis 24. Jänner) zusammengefasst. Bis dahin wird sich zumindest die ÖGB-Zentrale in neuen Räumen befinden: Sie bezieht bis zum ersten Quartal 2009 Quartier am Laurenzerberg. Danach sollen möglichst alle Gewerkschaften in ein gemeinsames Büro entweder beim Stadion oder am Schlachthof St. Marx ziehen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe 20.10.2006)