Wie man sich durchs Leben schlägt, wenn man nichts hat: Navid (Navid Reisi), der erfindungsreiche Protagonist und moderne Sisyphos aus Abolfazl Jalilis sozialkritischer Komödie "Full or Empty / Gol ya pouch".

Foto: Viennale
Mit dem Regisseur Abolfazl Jalili sprach Dominik Kamalzadeh.


STANDARD: Herr Jalili, Navid, die Hauptfigur Ihres Films, ist eine Art jugendlicher Sisyphos. Er möchte vieles erreichen, hat aber kaum die Mittel dazu. Ist "Full or Empty" ein Film darüber, dass man nicht aufgeben soll?

Jalili: Das ist ganz richtig so. Die zwischenmenschlichen Verhältnisse sind mir besonders wichtig – nicht nur jene von Navid zu der Frau, die er heiraten möchte, sondern auch zu allen anderen um ihn. Er ist ständig mit verschiedenen Idioten oder Fanatikern konfrontiert, die ihn an etwas hindern. Die Gesellschaft versteht ihn nicht, sie kann sein Handeln nicht nachvollziehen und daher nicht unterstützen. Aus diesem Grund muss er immer wieder ein Stück von sich am Weg zurück lassen.

STANDARD: Er möchte Lehrer werden, findet aber nur Ersatztätigkeiten. Wollten sie konkrete Arbeitsbedingungen im Iran thematisieren?

Jalili: Die unterschiedlichen Jobs, die Navid ausführt, habe ich ganz spezifisch in dieser Gegend im Süden des Iran recherchiert. Wie zum Beispiel die Episode, in der er Wasser verkauft: Süßwasser fehlt in dieser Region, die Kinder trinken etwa alle Salzwasser – deshalb habe ich ihn diesen Job erfinden lassen. Die andere Szene, wo er zu diesen Leuten geht, die alle möglichen Metallteile auseinander nehmen und sie dann verarbeiten – sie ist ein Bild dafür, wie weit ökonomische Ketten reichen, auch zwischen welchen Ländern sie bestehen, wie etwa zwischen dem Iran und Pakistan. Mein persönliches Ziel ist es immer, einen Film zu machen, der viel von einem Dokumentarfilm hat. Er soll wie die Realität aussehen, und man soll nicht das Gefühl haben, dass die Dialoge geschrieben sind.

STANDARD: Es gibt auch Szenen in der Öffentlichkeit, etwa wenn Navid mit dem Megaphon durch die Stadt marschiert: Wie realisiert man das? Wie dosiert man dieses Maß an Gegenwärtigkeit?

Jalili: Ich habe da meine eigene Methode – ich stelle mir bestimmte Fallbeispiele vor, was passieren könnte. Es könnte zum Beispiel die Polizei kommen und mich zum Aufhören zwingen. Es könnte sein, dass die Leute nicht motiviert sind oder dass sie dermaßen motiviert sind, dass alles außer Kontrolle gerät. Ich sage den Schauspielern dann, was sie in jedem der Fälle machen sollen. Um ein Beispiel zu geben: Für eine der Stadtszenen des Films haben wir keine Drehgenehmigung erhalten. Die Polizei hat uns davor gewarnt, dass sie bei Zuwiderhandlung alles beschlagnahmen würde. Deshalb stand bei jeder der Szenen ein Auto mit offenen Türen und Fahrer bereit, sodass alle flüchten könnten, falls die Polizei tatsächlich auftauchen würde. Ich sagte, ich bleibe hier und finde meinen Weg, aber ihr und die Kamera: Nix wie weg!

STANDARD: : Und ist es passiert?

Jalili: Zum Glück nicht.

STANDARD: "Full or Empty" ist ein "kleiner" Film: sehr wendig und erstmals eine Komödie... Hat das nicht mehr Freiheiten gebracht?

Jalili: Der Film ist in einer Zwischenperiode realisiert worden – ein anderes Projekt kam gerade nicht zustande. Ich habe das erste Mal mit Digicam gedreht. Zuerst dachte ich, das käme billiger, dann musste ich jedoch feststellen, dass die Postproduktion genauso teuer wurde. Der Film ist in der Tat anders als jene, die ich davor gemacht habe – schon das Genre ist neu, weil es sich, wie Sie sagen, um eine Komödie handelt. Meine früheren Filme haben oft sozialpolitisch Kritik geübt, Full or Empty ist dagegen viel leichter.

STANDARD: Ich halte den Film dennoch für sehr sozialkritisch. Hat Ihnen nicht gerade die Komik ermöglicht, soziale Ungereimtheiten oder das Regelwerk der Bürokratie zu verhandeln?

Jalili: Die Sozialkritik meiner früheren Filme hat im Iran stets Anstoß erregt. Das hat meine Arbeit insgesamt erschwert. Da dachte ich, wenn ich meine Ansichten in einer anderen Form verpacke, eben in einer Komödie, dass es dann leichter zu produzieren und von den Beamten auch besser zu verdauen wäre. Es hat sich allerdings erwiesen, dass auch diese Leute – wie Sie – wohl darüber lachen, aber eben auch die Kritik mitkriegen. Der Film durfte bisher nicht im Iran gezeigt werden.

STANDARD: Hat sich die Situation mit Präsident Ahmadi-Nejad noch verschlechtert?

Jalili: Ich bin seit 25 Jahren Filmemacher, und in all diesen Jahren, hab ich nicht ein einziges Mal sofort Erlaubnis bekommen, einen Film zu drehen. Und sie zu zeigen, wurde mir kein einziges Mal gestattet. Es hat sich nichts verändert.

STANDARD: Woher nimmt man die Kraft, weiter zu arbeiten?

Jalili: Dieser Frage wird mir in jedem Land gestellt. Ich lebe in einer Welt, die ich mir selbst aufgebaut habe, und in dieser Welt fühle ich mich am stärksten. Ich habe meinen Glauben an Gott und halte mich daran fest, dass alles möglich ist. In meinem eigenen Glauben an Gott fühle ich mich so stark, dass nicht nur Ahmadi-Nejad oder der Iran sehr klein erscheinen, sondern die ganze Welt. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Wenn Sie den Glauben in sich aufbauen würden, dann verspürten Sie dieselbe Kraft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2006)