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Mit seinem neuen Werk erweist sich Demme einmal mehr als großer Grenzgänger zwischen Fiktion, Dokumentation, Film und Musik. Frank Arnold sprach mit ihm.


STANDARD: Ihr erster persönlicher Kontakt mit Neil Young kam bei Ihrem Film "Philadelphia" zustande?

Jonathan Demme: Ich war gerade dabei, den Film fertig zu schneiden und hoffte, dass Neil Young mir eine große antihomophobe Gitarrenhymne geben könnte, in der Art seines Southern Man. Voll roher Wut. Also schnitt ich die Titelsequenz zu diesem Song und schickte seinem Manager eine Videokassette des kompletten Films. Dann kam die Antwort, dass Neil Young gerne einen Song schreiben würde – eine Woche später kam dieser herzzerreißende Song "Philadelphia" – nicht die Hymne, die ich mir erhofft hatte, aber: toll, das Richtige für den Abspann. Ich bekam in weiterer Folge immer exzellente Sitze bei seinen Konzerten und lernte ihn ein bisschen kennen.

STANDARD: "Heart of Gold" wurde von Ihnen initiiert?

Demme: Als er mit "Greendale" auf Tournee ging, konnte man ihn kaum sehen auf der Bühne, stattdessen gab es Schauspieler, die lippensynchron die Texte sprachen – ich fand, das war eine ganz neue Art der Präsentation, darüber sprach ich oft mit ihm am Telefon. Eines Tages fragte er mich, ob ich bei der Filmversion des Albums mit ihm zusammen arbeiten wollte. Das musste ich absagen, weil ich gerade den Manchurian Candidate vorbereitete. Als ich ihn dann vor anderthalb Jahren anrief, begann er gerade mit der Arbeit am "Prairie Wind"-Album und schickte mir einige der neuen Songs. Je mehr wir darüber sprachen, desto mehr sah ich das Konzert vor mir, so wie wir es jetzt im Film sehen: die Idee, dass er in eine Stadt kommt, die er so sehr liebt, und in ein Auditorium, das so etwas ist wie der heilige Schrein der Country-Musik – es sollte ein zeitloses Gefühl sein, als sei es in den Fünfzigerjahren aufgenommen. Wir schufen unsere eigenen Kostüme und Hintergründe, wir mieteten das Auditorium für zwei Nächte. Die Karten verlosten wir über Radiosender.

STANDARD: Unter dem Pseudonym Bernard Shakey hat Neil Young selber einige Filme inszeniert. Wie eng haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?

Demme: Während der Vorbereitung haben wir nur telefonisch miteinander geredet, weil wir nicht am selben Ort waren. Als ich einen Künstler für den Entwurf des Hintergrundes engagierte, schickte ich ihm Entwürfe, später e-mailte ich ihm Fotos. Einen der Entwürfe mochte er nicht, den änderten wir. Während des Schnitts kam Neil ein paar Mal nach New York. Einmal war ich zu spät dran, da hatten er und Andy, mein Cutter, schon einige Sachen ausprobiert – aber das fand ich ganz schrecklich. Das einzige Mal, dass es Spannungen gab, betraf die Synchronität des Tons: Neil meinte, der sei einige Male für einige Sekunden asynchron. Ich bemerkte das nicht, das ging hin und her, am Ende hatte er Recht.

STANDARD: Ihr Film hat viele inszenierte Momente. Sie haben auch die Reihenfolge der Songs verändert ...

Demme: Ja, aber nicht im ersten Teil bei den Songs aus Prairie Wind – die erscheinen in der Abfolge des Albums. Im zweiten Teil präsentierte er Lieder in chronologischer Abfolge, aber ich fand, damit vergaben wir uns die Chance für einen emotionaleren Aufbau, auch visuell. Einige Songs sind mit kleinerer Besetzung aufgenommen, andere mit großer. Neil war erstaunt über die Kraft, die darin verborgen war. Der Song, der den Film beendet, "The Old Laughing Lady", war ein Nachgedanke. Wir drehten ja an zwei Abenden und ich habe immer bedauert, dass er diesen speziellen Song nicht spielte, denn er handelt vom Tod, und er selber hatte kurz zuvor diese Near-Death-Erfahrung gemacht. Ich fragte ihn, ob er diesen Song nicht noch nach Ende der Veranstaltung, vor einem leeren Haus spielen könnte. Er nahm seine Gitarre, spielte ein paar Akkorde und fragte, "Meinst du diesen? Klar, können wir machen."

STANDARD: Schon beim Talking-Heads-Konzertfilm "Stop Making Sense" konzentrierten Sie sich ganz auf die Performance.

Demme: Ein fundamentaler Unterschied ist der, dass Stop Making Sense eine Tour war. Ich sah die Show und sagte hinterher zu meinem Freund Gary Goetzmann, der schließlich den Film produzierte: "Das ist ein Film, der nur darauf wartet, gedreht zu werden – mit diesem tollen Licht und der Band, die sich langsam aufbaut." Wir kontaktierten David Byrne und filmten die Show. Hier war es das genaue Gegenteil. Wir hörten uns die Musik an und überlegten uns: Was für einen Film wollen wir machen? Der Film ist total inspiriert von der Musik. Aufnahmen des Publikums mag ich generell nicht bei Musikfilmen, ich denke mir immer: Gab es in diesem Moment nicht irgendetwas Interessanteres auf der Bühne? Es gibt keine guten Aufnahmen von der Reaktion des Publikums, es kommt mir immer lächerlich vor.

STANDARD: Sie haben zwischen Ihren Spielfilmen immer wieder Dokumentarfilme gedreht. Müssen Sie für die genauso viel kämpfen oder ist das jetzt einfacher dank des DVD-Marktes? "Heart of Gold" wird als DVD sicherlich mehr Leute erreichen als im Kino.

Demme: : Definitiv. Der sich ausdehnende DVD-Markt ist genau so eine Hilfe wie die Technologie. Wenn man ein Thema hat, kann man loslegen. Ich drehe gerade einen Film in New Orleans, den ich letzten Winter begonnen habe und im nächsten Winter beenden werde. Alle paar Monate fahre ich für eine Woche dorthin, filme die am meisten verwüsteten Gebiete, sehe, welche Veränderungen sich ergeben haben und spreche mit Menschen, die dorthin ziehen wollen – eine Art Tagebuch. Zuerst habe ich HBO und andere Sender angerufen, aber die meinten, da wird schon so viel gemacht – da entschied ich, das sei Zeitverschwendung und begann einfach zu drehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2006)