Cartoon: STANDARD/Oliver Schopf
In anderen Ländern werden Wohnanlagen aus der Nachkriegszeit immer öfter abgerissen und durch Neubauten ersetzt. In Österreich dominiert die sanfte Sanierung. Aber wie das jüngste Standard-Wohnsymposium zeigte, ist "Reconstructing" auch hier ein heißes Thema.

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Es war eine Szene, die man eher aus den USA kannte: die gezielte Sprengung einer heruntergekommenen Wohnanlage, bei denen riesige Betonblöcke spektakulär in sich zusammenfallen. Am 13. April 2003 kamen solche Bilder aus dem Linzer Vorort Leonding: Mit der Sprengung der Hochhäuser auf dem Harter Plateau wurde eine der schlechtesten Wohnanlagen der Republik mit 480 Einheiten in Sekunden in Schutt und Staub verwandelt.

Zustimmung aller Bewohner nötig

Dem Abriss, dem ersten in dieser Größenordnung in Österreich, gingen jahrelange Bemühungen voraus, mit denen der Hauseigentümer, die Leondinger Giwog, diesen Schritt vorbereitet hatte. Denn ohne Zustimmung aller Bewohner darf kein Haus in Österreich abgerissen werden, eine Zwangsabsiedelung ist weder bei Miet- noch bei Eigentums- oder Genossenschaftswohnungen erlaubt. Und selbst wenn den Bewohnern ein objektiv viel besserer Ersatz angeboten wird, bleibt immer eine Minderheit, die sich mit aller Kraft gegen eine unfreiwillige Übersiedlung wehrt.

Doch die Gemeinnützigen, die größten Hausherren des Landes, sind auf den Geschmack des "Reconstructing" (Abriss und Neubau in örtlicher Nähe) gekommen. Denn gerade bei Bauten aus den 50er- und 60er-Jahren zahlt sich eine Sanierung immer seltener aus. Selbst nach einer aufwändigen Wärme- und Schalldämmung bleibt solchen Anlagen der Makel eines unattraktiven Äußeren sowie ungünstige, zu kleine Wohnungsgrundrisse. Die Folge sind niedrige Erträge und hohe Leerstände, was die weitere Instandhaltung erschwert. Das schlechte Wohnumfeld fördert Vandalismus, Kriminalität und soziale Isolation. Bei solchen "Bausünden" sprechen die objektiven Fakten für einen Abriss - doch die subjektiven Wünsche der Bewohner oft dagegen.

Pro und Kontra

Auf dem 26. STANDARD-Wohnsymposium über die "Zukunft des Wohnens", das der Frage "Sanieren oder neu bauen: Reconstructing im Spannungsfeld zwischen Bewohnerinteressen und nachhaltiger Wirtschaftlichkeit" gewidmet war, trafen vergangene Woche Verfechter beider Seiten aufeinander.

Für Wolfgang Reithofer, Vorstandschef des Ziegelkonzerns Wienerberger, sind die steigenden Qualitätsansprüche beim Wohnen ein starkes Argument für den Abriss schlechter Bauten - solange dies freiwillig geschieht.

Der stärkste Befürworter des Reconstructing war Bernhard Felderer, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Er hält einen Großteil der zwischen 1945 und 1980 errichteten Wohnbauten - mit ihren engen Stiegenhäusern und kleinen Badezimmern - für unsanierbar. Die fehlende Nachfrage für solche Wohnungen führe von selbst dazu, dass "sie aus dem Markt ausscheiden" und durch moderne Bauten ersetzt werden. Aufgrund dieser Entwicklung rechnet das IHS mit einem Aufschwung in der Baubranche in den nächsten Jahren.

Hightech-Neubau statt Low-tech-Sanierung

Auch der Verbandsobmann der Gemeinnützigen, Karl Wurm, erwartet ein gewisses Maß an Reconstructing, bei den im Nachkriegsboom gebauten Wohnanlagen. Statt einer Low-tech-Sanierung sei dann zu den gleichen Kosten ein Hightech-Neubau möglich - oft in unmittelbarer Nähe. Doch die Entscheidung müsse mit Bedacht gefällt werden und neben wirtschaftlichen auch soziale und stadtplanerische Aspekte miteinbeziehen, betonte Wurm

Als Anwalt der Mieter lehnte Franz Köppl, der wohnpolitische Experte der Arbeiterkammer Wien, einen Abriss in fast allen Fällen ab. Man müsse auf die Interessen der Mieter eingehen, und diese würden fast immer für die Sanierung sprechen.

Rückendeckung erhielt Köppl von der ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter, die schon bei der letzten Wohnrechtsnovelle den Wünschen der Gemeinnützigen nach einer Zwangskündigung bei Reconstructing-Projekten eine Abfuhr erteilt hat. "Einvernehmliche Lösungen müssen her, man hat sich mit denen, die es betrifft, zu einigen", sagte sie in der Debatte mit der Landeschefin der SPÖ-Niederösterreich, Heidemaria Onodi (siehe Artikel "Zwangsabsiedelung darf es nicht geben").

Mittelwege

Zumindest die rechtlichen Grundlagen für Reconstructing wurden erleichtert, betonte der Leiter der Abteilung Wohnrecht im Wirtschaftsministerium, Andreas Sommer. So könne vor Gericht deponiert werden, dass ein Neubau wirtschaftlich und sozial verträglicher als eine unzulängliche Sanierung sei.

Der Architekt Martin Treberspurg beschrieb verschiedene Mittelwege zwischen Abriss und Sanierung. Ihm geht es um die dramatische Senkung des Energieverbrauchs im Wohnen. Doch gerade die Ökobilanz spricht oft gegen den Abriss, denn der Neubau verschlingt viel mehr Energie als eine Sanierung.

Staatspreis für Passivhaus

Und gerade die Giwog, die beim Harter Plateau gezeigt hat, dass Reconstructing auch in Österreich funktionieren kann, hat in der Linzer Makartstraße auch das Gegenbeispiel geschaffen: Ein altes Wohnhaus wurde auf Passivhausstandard saniert - und dafür mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Eine erfolgreiche Mischung aus Sanierung und Neubau gelang am heruntergekommenen "Langer Block" in Wien-Hernals.

Eines wurde auf der von der Fachzeitschrift "Wohnen Plus" mitorganisierten Veranstaltung - vor allem bei den traditionellen Tischgesprächen - deutlich: Ein Bauträger, der abreißen will, muss sich zuerst intensiv mit den Bedürfnissen der Bewohner auseinandersetzen. Da alle vom Sinn des Reconstructing überzeugt werden müssen, ist allein der Weg dorthin ein Fortschritt - ob er nun in einer Staubwolke mündet oder bloß in einer sanften Sanierung. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.10.2006)