Der letzte gemeinsame Film von Straub/Huillet: "Quei loro incontri" ("Jene ihre Begegnungen") wird etwa am 18. 10. um 18.00 Uhr im Gartenbaukino gezeigt.

Foto: Stadtkino Filmverleih
1982/1983 wohnten die Straubs mehrfach für ein paar Wochen bei mir in Berlin, West-Berlin, als sie ihren Film Klassenverhältnisse vorbereiteten. Ich hatte gefragt, ob ich nicht auch mitspielen könnte und durfte die Rolle des Delamarche übernehmen. Der Film sollte zunächst in Berlin gedreht werden und ich sah mir mit den beiden ein paar Motive an, später wurden die Dreharbeiten nach Hamburg und Umgebung verlegt, in Berlin wurde aber geprobt. Viel auch in meiner Wohnung, und ich bekam einen Einblick in die Arbeitsweise der Straubs.

Bei den Proben saß Danièle fast immer auf dem Boden. Sie sah und hörte sehr aufmerksam zu und machte sich in ihrem Skript Notizen. Sie merkte sich und notierte Sprechpausen und Betonungen, Gesten und Blicke. Abends schrieb sie auf einer Reiseschreibmaschine die Seiten des Skripts ab und fügte hinzu, was bei der Probe festgehalten worden war.

Danièle leitete die gesamte Produktion, sie war für die Drehplanung ebenso zuständig wie für die Requisiten. Der Film kostete etwa eine Million Mark, aber es gab kein Büro, alles war in den Papieren von Danièle festgehalten. Später schrieb sie mir, ich solle die Pudelmütze nicht vergessen, wir hatten festgelegt, ich werde die bei einer bestimmten Szene tragen. Zweimal schrieb sie mir von dieser Mütze.

Es lag offensichtlich beiden nicht viel daran, eine Wahl zu treffen. Die Darsteller wurden nicht aufwändig ausgesucht und auch die Schauplätze und Requisiten nicht.

Es kam ihnen nicht darauf an, die besonders geeigneten Darsteller zu finden, eher der Eignung der Darsteller zu entsprechen. Auch der Eignung eines Schauplatzes oder Gegenstandes. Das lange und sorgfältige Proben diente wohl dazu, diese Eignungen festzustellen.

Bei dieser Arbeit wurde mir nochmals deutlich, dass die Straubs stets einiges sehr genau festlegen und anderes überhaupt nicht. Einiges überlassen sie ganz dem Selbstlauf. Was aber beschlossen ist, das muss genau so durchgeführt werden.

Die Korrekturen

Es fällt schon deshalb schwer, etwas über die Straubs zu schreiben, weil beide die Genauigkeit so sehr liebten. Ein Zitat aus einem Film oder auch nur einem Zeitungs-Artikel vor 30 Jahren wurde immer bis aufs Wort wiedergegeben. Und Straub erzählte von einer Reise Anfang der Sechziger Jahre, die er ohne Danièle machen musste, weil es nicht genügend Geld gab. Dieses Unglück lag 20 Jahre zurück, aber er wusste die Daten und auch die Reiseziele noch ganz genau.

Ich habe erlebt, dass Danièle Jean-Marie korrigiert hat, aber kaum je umgekehrt. Einmal hat sie "auch" statt "Hauch" gesagt, und Jean-Marie hat sie darauf hingewiesen.

Wenn wir abends Musik hörten, setzte sich Danièle oft dazu, hatte aber dabei immer etwas zu tun. Sie machte eine Handarbeit, stopfte Socken oder ein Hemd. Ein paar Jahre zuvor, in Rom, hatte ich bemerkt dass die Straubs nie außer Haus aßen und auch große Strecken zu Fuß gingen um das Fahrgeld zu sparen. Jetzt aßen wir oft abends in der Pizzeria und Danièle bezahlte.

Sie erlaubte Jean-Marie zehn Zigaretten am Tag, sie sagte, sie haben nichts dagegen, dass er vom Rauchen sterbe. Dass er aber im Kino huste, das störe sie.

Wir sahen uns Godards Passion an, in dem Michel Piccoli ständig hüstelt, einen Lutscher im Mund, er hat wohl gerade das Rauchen aufgegeben. In diesem Film ist "Polen" ein neues Jerusalem. An dem Film hatte Danièle allerhand auszusetzen, meinte aber, es sei vielleicht doch Godards bester. Später, als wieder in der Wohnung waren, hustete Jean-Marie und Danièle schrie: "Hör auf zu husten". Das hatte sie schon oft gesagt. Jetzt fügte sie hinzu: "Sonst gehe ich nach Polen." (Harun Farocki/ DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2006)