"Wenn ich Brustkrebs vermeiden möchte, ist es das Beste, weder die Pille noch später Wechseljahrhormone zu nehmen." Sylvia Groth
Foto: Regina Hendrich/Standard
"Ich sehe in meiner Praxis jeden Tag, welche Verbesserung der Lebensqualität eine Hormonbehandlung bringen kann." Markus Metka
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STANDARD: Um die Hormonersatztherapie (HRT) entbrannte 2002 aufgrund der Studie der Women's Health Initiative (WHI) eine heftige Diskussion. Welche Erkenntnisse hat diese Untersuchung gebracht?

Groth: Die WHI-Studie ist die erste Studie, die auf hohem wissenschaftlichen Niveau durchgeführt wurde und die öffentlich finanziert war. Davor gab es 30 Jahre lang Hormonbehandlungen bei Frauen ohne Fundierung. Seit 2002 wissen wir durch die WHI-Studie definitiv, dass eine Gestagen-Östrogen-Kombination das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs, Thrombosen, Leber- und Gallenerkrankungen signifikant erhöht.

Diese Studie sagt auch, dass sich die Lebensqualität durch Hormongaben nicht verbessert, ebenso wenig wie Depressionen und die Libido. Eine positive Wirkung wurde bei Hitzewallungen und bei der Prophylaxe von Osteoporose und Darmkrebs festgestellt. Im Endeffekt hat diese Behandlung hunderttausenden Frauen geschadet.

Metka: Die Grundaussage der Studie war, dass durch langjährige Hormonsubstitution unter anderem das Brustkrebsrisiko und die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen geringgradig ansteigt. Diese Erkenntnis hat eine relativ irrationale Reaktion ausgelöst, die letztlich eine unkritische Beurteilung der Hormontherapie zur Folge hatte. Man muss die Ergebnisse schon etwas differenzierter betrachten.

In der Studie wurden Frauen untersucht, die fünf Jahre nach Menopausebeginn oder noch später Hormone eingenommen haben bzw. übergewichtig, also nicht gesund waren. Die Schlussfolgerung "Hormonsubstitution verursacht Brustkrebs und Herzinfarkte" wäre daher zu einfach. Bei gesunden Frauen am Anfang des Klimakteriums hat eine HRT definitiv protektive Wirkungen in Hinblick auf Osteoporose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

40 bis 50 Prozent aller Frauen in den Wechseljahren leiden wirklich - insbesondere an Schlafstörungen und Schweißausbrüchen. Ich sehe in meiner Praxis jeden Tag, welche Verbesserung der Lebensqualität eine Hormonbehandlung bringen kann.

Groth: Sie stellen die Wechseljahre als eine Krankheit hin. Dabei ist es eine natürliche Lebensphase, in der oft viele Belastungen auf Frauen zukommen. Diese Kritik an der WHI-Studie halte ich für unbegründet, da vier Altersgruppen erforscht wurden. Damit will man diese Studie schlecht reden und so tun, als ob sie für österreichische Frauen nicht gelten würde.

Metka: Bücher aus den Anfängen der HRT wie etwa "Forever Young" waren sicher eine unkritische Werbung für Östrogene. Allerdings wären wir auch vor der WHI-Studie nie auf die Idee gekommen, einer 60-jährigen Frau mit Übergewicht und ohne Wechseljahr- symptome Hormone zu verschreiben.

Groth: Aber dennoch haben Sie Hormone an Frauen verabreicht, ohne zu wissen, welche Folgen das haben kann.

Metka: Man kann nie kritisch genug sein, und wir haben alle daraus gelernt. Aber wenn ich einer jungen Frau, der man aufgrund einer Endometriose Gebärmutter und Eierstöcke entfernt hat, keine Hormone gebe, ist das eine schwere Unterlassung. Solche Frauen würden mit 50 an den Folgen des Hormonmangels sterben. Deshalb muss man die Kirche im Dorf lassen und nicht jeder Frau die Hormone wegnehmen.

STANDARD: Viele Frauen wurden durch die WHI-Studie verunsichert und haben ihre Hormongaben ohne Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt. Eine gerechtfertigte Maßnahme oder überzogene Panikreaktion?

Groth: Die Verunsicherung der Frauen wird immer bei Ergebnissen, die traditionelle schulmedizinische Verfahren infrage stellen, als Gegenargument benutzt. Davor wurden Frauen schlicht in falscher Sicherheit gewogen. Durch die WHI-Studie sind falsche Annahmen mit der besten wissenschaftlichen Evidenz, die wir je haben werden, zurechtgerückt worden. Leider muss ich regelmäßig feststellen, dass diese Erkenntnisse noch immer nicht bei allen Gynäkologen angekommen sind.

Metka: Vor 20 Jahren hat man einer Frau mit schwersten Hitzewallungen bisweilen noch geraten, kalt zu duschen. Heute können aufgeklärte Patientinnen schon sehr gut beurteilen, wie sehr sich ein Frauenarzt in dieser Materie auskennt.

STANDARD: Wie sollte eine angemessene Beratung über HRT durch den Gynäkologen denn aussehen?

Metka: Dazu gehört in erster Linie eine umfassende Anamnese, in der gesundheitliche Aspekte und Leidensdruck der Patientin abzuklären sind. Zusätzlich Brustuntersuchungen mit Mammografie oder Ultraschall und ein genauer Hormonstatus. Wenn das alles gemacht wird, kann eine Frau durchaus davon ausgehen, dass sie in guten Händen ist.

Groth: Das reicht nicht. Wir wissen, dass Hormone einen Placebo-Effekt von 50 Prozent haben. Bei zirka 15 Prozent der Frauen haben Hormone sogar eine gegenteilige Wirkung. Und bei jenem Drittel aller Frauen, die wirklich schwere Wechselsymptome haben, können die Probleme nach einiger Zeit verschwinden, ohne dass sie Hormone einnehmen müssen. Darüber muss man Frauen aufklären. Dazu kommen Einflussfaktoren unabhängig vom Östrogenspiegel, die eine Frau schwer belasten können und auf die man in einem Beratungsgespräch eingehen sollte.

STANDARD: In welchen Fällen von Wechseljahrbeschwerden wird ein Arzt eine Hormonersatztherapie dann überhaupt vorschlagen?

Metka: Das typische, mittelschwere oder schwere klimakterische Syndrom mit Wallungen, Schweißausbrüchen, Durchschlafstörungen, Trockenheit der Schleimhaut ist die anerkannte Hauptindikation für eine Hormonsubstitution. Es gibt aber Wechselbeschwerden wie Augentrockenheit, Depressionen oder Veränderungen der Fingergelenke, die von den Patientinnen nicht unbedingt mit dem Klimakterium in Verbindung gebracht werden, aber durch eine richtige HRT in den Griff zu bekommen sind.

Groth: Gerade für Depressionen hat man festgestellt, dass sie unabhängig vom Wechsel sind, mit dem Alter zunehmen und dass Hormone hier auch nichts nützen.

STANDARD: Welche Frauen müssen mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Langzeitfolgen bei der HRT rechnen?

Metka: Einer der wesentlichen Punkte ist sicher Übergewicht, weil jede Fettzelle ohnehin zusätzliche Östrogene produziert und damit den Hormonspiegel hebt. Allein aus diesem Grund haben adipöse Frauen ein viel höheres Risiko, an einem Endometriumkarzinom zu erkranken. Weitere Kontraindikationen wären Blutgerinnungsstörungen oder eine Familienanamnese mit bösartigen Krebserkrankungen. Deshalb ist eine individuelle Risikoevaluation durch den behandelnden Arzt grundsätzlich sehr, sehr wichtig.

Groth: Als generelle Empfehlung gilt, Sexualhormone nur noch nach dem low-dose-Prinzip in der niedrigst wirksamen Dosis und so kurz wie möglich zu verabreichen.

STANDARD: Was können Frauen, die Hormone über längere Zeit genommen haben oder nehmen, tun, um ihr individuelles Krebsrisiko zu minimieren?

Metka: 30 Prozent sind genetisch vorgegeben. Aber 50 bis 70 Prozent der Karzinome wären vermutlich durch richtige Ernährung zu verhindern. Dazu kommen regelmäßige Bewegung, Vermeidung von negativen Umwelteinflüssen wie Nikotin oder Alkohol und eine gesunde Spiritualität, z.B. im Sinne von positiver Stressbewältigung. Jeder verantwortungsbewusste Arzt wird diese Faktoren vor einer HRT abklären.

Groth: Wir wissen, dass Östrogene Krebs erregende Stoffe sind. Wenn ich also Brustkrebs vermeiden möchte, ist es das Beste, weder die Pille noch später Wechseljahrhormone zu nehmen. Außerdem verändert die Einnahme von Hormonen das Brustgewebe und erschwert daher die Deutung von Mammografien. Natürlich sollten Frauen auch auf ihr Gewicht achten.

STANDARD: Welche Rolle spielen pflanzliche Hormone in den Wechseljahren?

Groth: Phytohormone haben eine große Placebowirkung, darüber hinaus gibt es keinen Hinweis dafür, dass sie einen Nutzen haben. Sie könnten aber genauso schaden wie die Östrogene und Brustkrebs begünstigen. Da es noch keine evidenzbasierten Ergebnisse gibt, die den Nutzen belegen, rate ich Frauen davon ab. Noch dazu sind die Präparate sehr teuer.

Metka: Ich sehe Phytohormone als interessante und sichere Alternative. Studien hoher Evidenzklasse besagen, dass pflanzliche Hormone leichte und mittelschwere klimakterische Beschwerden lindern können. Auch in der asiatischen Medizin werden Phytohormone erfolgreich eingesetzt.

STANDARD: Ab 18. Oktober werden beim Menopause-Kongress in Wien Fortschritte der Anti-Aging-Medizin präsentiert. Was darf man sich auf diesem Gebiet zukünftig von Hormonen erwarten?

Groth: Ich glaube, dass das Konzept falsch ist, immer mehr in die genetischen Zusammenhänge hineinzugehen mit dem Versprechen, damit maßgeschneiderte Jungbrunnen finden zu können. Wir brauchen kein Anti-Aging. Ich bin überzeugt, dass Verbesserungen in der sozialen Sicherheit viel wesentlicher zur Gesundheit beitragen würden.

Metka: Wenn durch die steigende Lebenserwartung nur das Leiden zunimmt und langjährige chronische Erkrankungen dem Tod vorausgehen, dann wird das auch zum sozialpolitischen Problem werden. Deshalb müssen wir die alterspräventive Medizin sehr ernst nehmen, um den dazugewonnenen Jahren eine entsprechende Qualität zu geben. Und da werden Hormone neben Ernährung und Lifestyle sicherlich auch in Zukunft ihre Berechtigung haben. (Andrea Fallent/MEDSTANDARD/16.10.2006)