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Lippen schweigen, Fassaden bröckeln: Wie kann man die seit Jahrzehnten dahindümpelnde Inszenierung österreichischer Kulturpolitik endlich zu einem Erfolgsstück machen?

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Joachim Rössl: "Ein Kunstministerium ist kein Allheilmittel, aber ..."

Der Autor ist Leiter der Kulturabteilung der NÖ Landesregierung und Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung.

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"Ich hasse die Wirklichkeit, aber es ist der einzige Ort, an dem man ein gutes Steak bekommt." (Woody Allen)

Dass die im Brechen der Berliner Mauer kulminierende Neuordnung Europas nachhaltig unsere kleine Welt verändern würde, wussten viele. Wenige ahnten jedoch, mit welcher Heftigkeit der Sieg aller amerikanischen Paradigmen in persönliche, europäische Lebensbilder einwirken würde. Ein Kontinent, der Tradition, Kunst und Wissenschaft über Jahrhunderte mit dem Anspruch von Haltung und Bildung verband, musste rasch den Vorrang von Ökonomie und Utilität zur Kenntnis nehmen.

Auf dieser "Weltbühne" wurde in den letzten 17 Jahren von Ministern und Staatssekretären versucht, österreichische Kulturpolitik zu inszenieren. Dem Stück war mäßiger Erfolg beschieden: Regie und Akteuren fehlte ein stringentes Konzept und der Mut zur konsequenten Umsetzung. Folgerichtig erhielt die zu keinem Zeitpunkt aus der Nische des Minderheitenprogramms tretende Kulturpolitik nie jene Budgetmittel, die ihr Gewicht und Bedeutung jenseits von Schickeria und Salons ermöglicht hätte.

Die im koalitionären Gleichschritt vollzogene, so genannte Ausgliederung der Bundestheater und Bundesmuseen im Jahr 1998 geriet zum halbherzigen Kompromiss zwischen Eigentümerinteressen (Bund) und individuellen Wünschen künftiger Direktoren.

Trotzdem hätten die bundesgesetzlichen Regelungen - bei gegebenem Leadership der Eigentümervertreter - die Entwicklung in eine andere Richtung ermöglicht: inhaltliche Abstimmung und Nutzung der Synergien der Häuser; Vermeidung peinlicher Auftritte von Direktoren, die in ihrer Geschäftsführung nicht mehr zwischen Privatperson und übernommener Aufgabe (Kantorowicz, "The King's Two Bodies") zu unterscheiden wissen. Eitelkeiten allerorten haben Kunst in den Kontext gesellschaftlicher Attribute gestellt.

Merke: Sieht man Kunst und Kultur als Herrschaftszeichen, hat man sich wie ein Herr zu benehmen!

Weit gehend Frieden herrscht im Land hinsichtlich einschlägiger Publikationen, öffentlicher Diskussionen und privater Meinungsäußerung. Das entspricht der alltäglichen Wirklichkeit: Mehrheitsthema ist der Pflegenotstand und keinesfalls der Kunstnotstand.

Die von überraschend juvenilem Engagement getragenen, im Standard publizierten Forderungen von Noever/Bast ("Ein Mandat für die Kunst", 23. 9.) haben meine Sympathie, führen aber die Kunst nicht aus dem toten Winkel der Gesellschaft. Auf der Höhe der Zeit und nicht von Klienteldenken geprägt war die in der gleichen Ausgabe veröffentlichte Ad-hoc-Entgegnung von Rüdiger Wischenbart, der Kunst und Kultur tatsächlich im gesellschaftlichen Kontext sieht. Wir brauchen nicht noch ein Minderheitenprojekt, das aus demokratischem Anstand geduldet wird!

Den Königsweg zwischen totalitärem Anspruch der Kunst und demokratischem Alltag zu finden, ist natürlich nicht einfach. Niederösterreich hat aber, denke ich, in den letzten fünfzehn Jahren durch die Trennung von Finanzierung (Land) und operativem Betrieb (NÖ Kulturwirtschaft GmbH mit Töchtern) ein Modell umgesetzt, das den Ansprüchen von Politik (Volksvertretung) und Kunst (Elite) genügt. Voraussetzungen für den Erfolg sind:

  • Freiheit der Kunst im Alltag leben;

  • klare kulturpolitische Rahmenbedingungen;

  • Kulturverwaltung als dienstleistendes Kulturmanagement;

  • Entscheidungsprozesse pluralistisch und nachvollziehbar gestalten;

  • Vielfalt und Streuung in der Finanzierung, um Abhängigkeit zu vermeiden;

  • Nachvollziehbarkeit der wirtschaftlichen Gebarung (auch für Fachfremde!);

  • über den engen Kulturbereich hinaus verständliche Öffentlichkeitsarbeit;

  • Bewahren kultureller Vielfalt, aber besonderer Stellenwert für produzierende Künstler/innen.

    Und selbstverständlich und zu allererst hängt alles von den jeweils agierenden Persönlichkeiten ab. Politiker, die über die Schatten ihrer Zunft springen und ihre Achtung vor Künstlern durch das regelmäßige persönliche Gespräch ausdrücken; Kulturmanager, die sich nicht selbst darstellen; Künstler und Kulturschaffende, die bereit sind, neue Wege zu gehen.

    Ceterum censeo: Die Etablierung eines Kunst- oder Kulturministeriums ist kein Allheilmittel, trotzdem äußere ich diesen naiven Wunsch. Abseits von Prestige- und Machtdenken könnte dem Projekt ein unerwarteter Erfolg beschieden sein! (DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2006)