Gemäßigte Muslime in Kanada, die sich von extremen Islamisten an Leib und Leben bedroht fühlen, haben die kanadischen Behörden um Hilfe gebeten. In einem Schreiben forderte der Muslimisch-Kanadische Kongress (MCC) den Justizminister der Provinz Ontario auf, "kaum verhüllte Todesdrohungen" von Fundamentalisten gegen gemäßigte Muslime zu stoppen. Der MCC will auch, dass Begriffe wie "anti-islamisch", mit denen tolerante Muslime von radikalen Führern zu Angriffszielen gemacht werden, als Hasspropaganda verboten werden.

Jemanden als "anti-islamisch" zu bezeichnen, sei nichts anderes als eine verschlüsselte Todesdrohung, sagte Sohail Raza, Sprecher des Muslimisch-Kanadischen Kongresses, der die Trennung von Kirche und Staat und die Gleichberechtigung der Frauen befürwortet. Wenn konservative und islamistische Gruppen jemanden zum Beispiel im Internet mit "anti-islamisch" verleumdeten, dann sei das gleichbedeutend mit dem Vorwurf der Blasphemie oder Apostasie (vom Glauben abtrünnig werden). Auf beides steht in vielen muslimischen Ländern die Todesstrafe. Für einen Anhänger des Sharia-Rechtes sei die Beschuldigung einer muslimischen Person, anti-islamisch zu sein, ein "Auftrag zum Mord".

Das Justizministerium von Ontario erklärte dazu, Todesdrohungen seien ein Verbrechen und müssten bei der Polizei angezeigt werden. Laut Sohail Raza erhielt sein Vorgänger Todesdrohungen und sei deswegen vor rund vier Monaten als MCC-Sprecher zurückgetreten. Das sei der Polizei gemeldet worden. Die Atmosphäre der Einschüchterung und Furcht mache es für progressive Muslime schwierig, ihre Meinung zu vertreten, sagt Raza.

Nach Angaben des MCC verstärkten sich die Drohungen, seit moderate Muslime 2005 die Einrichtung eines Sharia-Gerichtes für Familienkonflikte in der Provinz Ontario ablehnten, das islamisches Recht befolgt hätte. Die Regierung von Ontario ließ von der Idee eines solchen Gerichtes nach heftigen Protesten in Kanada und im Ausland ab. (Bernadette Calonego aus Vancouver/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.10.2006)