Wien - Wenn die Repetition des Repertoires mehr sein soll als gefällige Untermalung von Feierabenden, braucht sie Interpretationen, die stutzig machen. Ein ungewohnter Akzent hier, ein zuvor nie so gehörtes Detail da - das sind die Ingredienzen, durch die man sich zumindest eine Stelle im Altbekannten merkt. Hat man Glück, verändert sich damit der Blick aufs Ganze. Was der Anteil des Interpreten gegenüber dem des Komponisten daran sei, ist eine heiß umkämpfte Frage.

Alexei Volodin schickt sich an, dazu einen Beitrag zu leisten, indem er wie ein kühler Sachwalter seines Programms auftrat, um dann in unerwarteten Momenten emotionale Eruptionen über das Auditorium zu entladen. Begeisternd, aber auch verwirrend wirkte sich der introvertierte Habitus des Russen aus, wenn nach einem asketischen Schubert-Impromptu Unklarheit herrschte, ob dessen Ende schon erreicht sei, oder zwischen den Sätzen der letzten Beethoven-Sonate Applaus aufbrandete. Am Publikum demonstriert zu haben, dass das Bildungsbürgertum im Aussterben begriffen ist, durfte dabei wohl als Erfolg verbucht werden, weniger jedoch die Interpretation selbst.

Denn Volodin inszenierte hier ein Episodentheater mit netten Szenen, doch zu wenig Blick auf die Architektur. So wirkte das Fugato (1. Satz) wie eine von Schostakowitschs Apparatschik-Karikaturen und war die Arietta von chopinesken Gesten durchdrungen, gegenüber denen die Auflösung des Themas am Ende in impressionistischen Tonklumpen verschwamm.

In den harmloseren Gewässern von Chopins Barcarolle war der Pianist dann besser aufgehoben, und die Polonaise-Fantaisie versah er mit noblem Glanz und leuchtendem Glitter. Wirklich grandios war dann erst Prokofjews 7. Sonate, als Volodin nach Vorspiegelung von Sanftheit deren Abgründigkeit und Aggressivität entfesselte - ein aufwühlender Tribut an das Unbotmäßige der Kunst. (Daniel Ender /DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2006)