Kinder, die die Lesesucht kennen - die alle Taschengeldbudgets um ein Unendliches übersteigt -, wissen, was es heißt, eine Bücherei in erreichbarer Nähe zu haben.
Und genau hier beginnt der tieftraurige Abschnitt dieses Artikels: die desaströse, die bildungspolitisch schlicht katastrophale Realität der österreichischen Büchereien-Landschaft.
9,4 Millionen Besucher
Auf den ersten Blick zwar klingen die Zahlen nicht schlecht: Über eine Million der Österreicher sind eingeschriebene Benutzer einer Bibliothek, etwa 14 Prozent der Bevölkerung. Rund 9,4 Millionen Besucher verzeichneten Österreichs Büchereien im vergangenen Jahr insgesamt. 20 Millionen Bücher wurden entliehen. 11.000 Bibliothekare sorgen österreichweit dafür, dies zu ermöglichen. - Schöne Zahlen.
Allein: 10.250 dieser 11.000 Bibliothekare arbeiten ehrenamtlich. Ohne Bezahlung. Zumeist in winzigen Pfarr- und Gemeindebibliotheken mit schmalem Buchbestand.
Minimalinvestition in Kärtnen
Viel wert sind sie Österreichs Politikern nämlich nicht, die öffentlichen Büchereien. Gerade einige tausend Euro (!!!) investiert das Bundesland Kärnten, trauriges Schlusslicht Österreichs, in öffentliche Büchereien. Bis heute verfügen weder die Landeshauptstadt Klagenfurt noch Villach über eine öffentliche städtische Bibliothek.
Fehlendes Gesetz
Ermöglicht werden solche Missstände durch eine fehlende gesetzliche Regelung: Österreich ist eines der letzten Länder der EU, in dem bis heute kein Bibliotheken-Gesetz existiert. Ein solches Gesetz regelt Mindestgröße, Budget, mediale Ausstattung der Büchereien in Relation zur Größe der jeweiligen Kommune.
Finnland, das Bildungs-Musterland, beispielsweise verfügt seit Langem über eine entsprechende Regelung. Resultat: 60 Prozent aller Finnen sind eingetragene Bibliotheksnutzer. Die Lesekompetenz der finnischen Jugend rangiert auf den Pisa-Listen regelmäßig an erster Stelle. Während in Österreich zuletzt rund 20 Prozent der 15- bis 16-Jährigen über eine kaum noch messbare Lesekompetenz verfügten, de facto also von jeder schriftlichen Information ausgeschlossen sind.
Mangelware Buch
Kein Wunder: Rund 60 Prozent der österreichischen Haushalte beherbergen - nach Angaben der Jugendlichen - deutlich weniger als 100 Bücher. Koch- und Telefonbücher sowie die Bibel eingerechnet. Knapp ein Drittel der Elternhaushalte gar weniger als 25 Bücher. Literarische Anregungen für die Jugend sind von solchen Lesemuffeln nicht erwarten.
Gerade vor dem Hintergrund dieser alarmierenden Zahlen kommt den öffentlichen Bibliotheken ein desto wichtigerer Auftrag zur Grundversorgung weiter Bevölkerungsschichten zu, insbesondere aber der Jugend, mit Lektüre, wissenschaftlichen Büchern, kostenlosen Internet-Zugängen. Die Dringlichkeit eines Bibliotheken-Gesetzes müsste politisches Allgemeingut sein, sollte man denken, jenseits aller Parteigrenzen. Mitnichten.
Bildungspolitik
Keine Regierung sah sich bis heute veranlasst, eine solche Regelung ernsthaft in Erwägung zu ziehen - geschweige denn, sie umzusetzen. Die Ernsthaftigkeit der kommenden Koalition in puncto Bildungspolitik wird nicht zuletzt daran zu messen sein, wie sie sich zu dieser Frage stellt.