Das Kanu ist schwerer und langsamer als die wendigen Kajaks, dafür sitzen die Kanuten höher und werden weniger nass. Die Wahl fällt auf ein leichtes Alukanu, und los geht es in Richtung Westen, also erst einmal gegen den Wind. Die Gamla Stan, die Altstadt, ist noch von der Insel Skeppesholmen verdeckt, dafür bietet sich ein Prachtblick auf das Nationalmuseum und das Museum moderner Kunst. Damit sehen die Sportler gleich einen sehr repräsentativen Ausschnitt von Stockholm, einer Stadt, die von Inseln (14 an der Zahl) und Museen (75) nur so wimmelt.
Gleich zur Linken stauen sich schon am frühen Vormittag vor der Astrid-
Lindgren-Miniaturwelt "Junibacken" die Kinderwagen. Und nur wenige
Ruderschläge weiter ragt das Vasamuseum leuchtend rot in die Ostsee.
Denn, so lernt der Stockholm-Novize, wir befinden uns auf dieser Seite der
Altstadt auf der Ostsee. Zum Glück herrscht kaum Wellengang, nur die
Speedboote, die Besucher in knapp einer Stunde in die vorgelagerte
Schärenwelt bringen, schlagen ordentlich Schaum.
Beste Wasserqualität
Stellt man das Kanu nicht rechtzeitig frontal dazu, wird man angespritzt und
kann bei der Gelegenheit gleich feststellen, wie wenig salzhaltig dieses scheinbar
sanftmütige Meer ist. Erst gestern noch, so erzählt Niklas Gullback,
der drahtige Guide am Steuerruder, seien Gäste vom Kanu aus baden
gegangen - freiwillig. Das Wasser hat im gesamten Stadtgebiet
Badequalität, im westlich der Altstadt gelegenen Mälarensee sogar
Trinkwasserqualität. Dem geringen Salzgehalt der Ostsee verdankt die Stadt
auch eine ihrer größten Attraktionen. Das Vasamuseum beherbergt
ein zu 95 Prozent im Original erhaltenes Kriegsschiff aus dem 17. Jahrhundert.
1628 war die stolze Vasa nach mehreren Jahren Bauzeit auf ihrer Jungfernfahrt
nur 1300 Meter vom Kai entfernt gesunken. Die Admiralität sowie die
zahlreich versammelte Plebs - Stockholm war damals ein Nest von circa 10.000
Einwohnern - waren entsetzt, der König zum Glück außer
Landes.
Es sieht den Schweden irgendwie ähnlich, dass sie aus ihrem größten Untergang einen derartigen Verkaufsschlager machen konnten: Die Bergung des im Schlamm des Hafenbeckens konservierten Kriegsschiffes war 1961 die erste TV-Liveübertragung Schwedens, heute kennt hier jedes Kind das Schiff und das auch für Erwachsene sehenswerte Museum, das eben hinter der Biegung der Bucht verschwindet.
Wenige Minuten später erreichen wir den Vergnügungspark Tivoli, in dem knapp über dem Wasserspiegel die Kinder im Kettenkarussell jauchzen. Die eben ablegende Fähre, die die Insel mit der Innenstadt verbindet, nimmt Rücksicht und rammt uns nicht. Jetzt sehen wir zur Linken prachtvolle Villen, u. a. die italienische Botschaft und Privathäuser reicher schwedischer Wirtschaftstreibender, die Normalsterbliche um ihre Wohnlage durchaus beneiden könnten.
Jeder Familie ihr Boot
Wir befinden uns jetzt in den Gewässern der Saltsjön, durch die auch
die Kreuzfahrtschiffe bis direkt vor die Altstadt fahren können. Im Sommer
fluten deren Gäste die engen Gassen um die Königsresidenz, jetzt im
September liegt nur ein einziges Schiff am Vikingterminal. Ein paar Motorboote
überholen uns, weiter östlich ist eine Regatta im Gange. 250.000
Privatboote gibt es laut offizieller Schätzungen in Stockholm, das macht
rund ein Boot pro Familie. Für die große Beliebtheit der
schwimmbaren Untersätze hat Niklas seine eigene Thoerie: "In
Schweden ist ja bei 0,2 Promille der Führerschein weg", erklärt
er. "Für das Steuern eines Bootes gibt es aber kein derartiges
Gesetz." Von angeheiterten Bootsführern ist heute nichts zu
bemerken, die Disziplin auch auf dem Wasser ist augenfällig. Nur ein
Scooter stört die Idylle. Bis vor Kurzem waren diese aggressiven
Wasserhummeln im Stadtgebiet verboten, nun muss man doch wieder das
Gewässer mit ihnen teilen.
Nach gut einer Stunde schon leicht ermattet, wenden wir uns nach backbord in
den Kanal, der die Insel Djurgarden vom Stadtteil Ladugärdsgardet trennt.
Hier ist es so still, dass das Eintauchen des Ruders ins Wasser schon fast
aufdringlich klingt. Der prachtvolle Sonnenschein wirft lustige Reflexionen in die
Eichenallee, die hier im einst königlichen Jagdgebiet ursprünglich
für den Schiffsbau gepflanzt wurde.
Heimat für über 100 Vogelarten
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts etablierte sich Djurgarden als öffentlich
zugänglicher Lustpark, heute locken die hier befindlichen drei
Schlösser und 30 Museen jährlich an die zehn Millionen Besucher an.
Von den Massen bemerkt man vom Wasser aus nichts, zur Linken liegt friedlich
eine Reiherkolonie. Über 100 Vogelarten beherbergt der 1995 deklarierte
Nationalstadtpark, mit einem ausgeklügelten Pumpensystem kann hier der
Wasserstand reguliert werden.