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Mit eigenartigen Ansichten zur Aidsbekämpfung geraten südafrikanische Politiker immer wieder in die Schlagzeilen.

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Peter Horn, tschechischer Literaturprofessor in Südafrika, denkt über Wissensgesellschaften nach.

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Was, bitte, hat die Germanistik in Südafrika verloren? Was soll Goethes Iphigenie in einem von Armut und Korruption geprägten Land? Mit diesen Fragen ringt Peter Horn schon seit einem halben Jahrhundert. Geboren 1934 in der Tschechoslowakei ging er Mitte der Fünfzigerjahre nach Südafrika und machte dort Karriere als Literaturwissenschafter.

"Literatur darf nicht nur etwas Abgehobenes sein, sie muss auch etwas mit dem Leben der Menschen zu tun haben", sagt Horn. Vergangene Woche sprach er beim Jura-Soyfer-Kongress in Wien über Widerstandslyrik. Hier hat Horn, Germanist und Schriftsteller in Personalunion, mehr als nur akademische Meriten. Gemeinsam mit anderen Gegnern der Rassentrennung agitierte er mit Lyriklesungen in überfüllten Stadien und wurde 1985 fast verhaftet.

Das Apartheidregime ist Geschichte, das Problem extremer sozialer Ungleichheit ist geblieben. Die größte Herausforderung aber heißt Aids. Kein Land ist so stark von der Immunschwächekrankheit betroffen wie Südafrika.

Kopfschütteln

Mit ihren Ansichten zur Aidsbekämpfung schaffen es südafrikanische Politiker regelmäßig in die Schlagzeilen. Unlängst sorgte die Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang international für Wut und Kopfschütteln, als sie Knoblauch, Zitronen und Rote Rüben als Mittel gegen Aids empfahl.

Was in dieser medialen Zuspitzung untergeht, ist ein kultureller Konflikt zwischen westlicher und einheimischer Medizin. Zwar gebe es unter den Sangomas, den Heilkundigen Südafrikas, auch viele Scharlatane. Aber das indigene Wissen könne man nicht einfach als Aberglaube und Quacksalberei abtun, so Horn. Manches funktioniere eben und das hat auch die westliche Laborwissenschaft gemerkt. Die ungeheure Biodiversität Südafrikas ist eine pharmakologische Schatztruhe, derzeit werden zahlreiche Pflanzen auf mögliche Wirkstoffe gegen Tuberkulose, Malaria und andere Krankheiten gescreent.

Aber gegen Aids helfen traditionellen Mittel nicht, stellt Horn klar. Westliche Rationalität und Respekt vor anderen Kulturen geraten in einen Konflikt. Die Sangomas etwa sind gegenüber eurozentrischen Bevormundungen empfindlich. "Die Auseinandersetzung ist notwendig", sagt Horn, "aber man muss sehr sensibel vorgehen."

Keine Rede von Sex

Die beste Medizin allein reicht nicht, wenn sie bei den Adressaten im doppelten Sinne nicht ankommt. Die Menschen in den Townships etwa lehnen es schlicht ab, über Sexualität zu sprechen und Kondome zu benutzen. Hier sieht Horn eine Aufgabe für die Kulturwissenschaft, die um kulturelle Unterschiede weiß - und um die Bedeutung von Geschichten. Denn in traditionellen Kulturen wird Wissen nach wie vor in Form von Erzählungen vermittelt. Ein neues Bewusstsein könne man nicht aufzwingen, es gelte, eingängige Geschichten zu finden, die die Botschaft, wenn man so will, zielgruppengerecht, vermitteln. Das wäre Literatur, die nicht nur mit dem Leben, sondern mit Überleben zu tun hat.

Der Erforschung und Moderierung kultureller Konflikte hat sich Horn auch auf internationaler Ebene verschrieben. Er ist Präsident von INST, des Instituts zur Erforschung und Förderung regionaler und transnationaler Kulturprozesse mit Sitz in Wien.

Vergangene Woche präsentierte INST die Ergebnisse des EU-Projektes "Virtualität und neue Wissensstrukturen", in dem die Transformationen von Agrar- und Industriegesellschaften zu Wissensgesellschaften untersucht werden.

Virtualität? Da denkt man an Computerspiele und das Internet. Ja, aber man dürfe diesen Begriff nicht auf die neuen Medien verengen, so Horn. Die Möglichkeitsräume, das spielerische Herumexperimentieren müsse es auch im Kopf geben. Nur mit Technik seien die Herausforderungen der Globalisierung nicht zu bewältigen. Einsetzen soll man sie freilich schon: Die Dokumentation des INST-Projekt in Buchform enthält auch eine CD und eine DVD. (Oliver Hochadel/DER STANDARD, Printausgabe, 11. Oktober 2006)