Traudl Junge war die Sekretärin, die das „politische Testament“ von Adolf Hitler zu Papier brachte. Sie zählte zu den letzten Menschen im Bunker in Berlin, die den „Führer“ lebend sahen. Den Untergang des nationalsozialistischen Deutschland erlebte sie aus der unmittelbaren Distanz einer unbeteiligten Augenzeugin.

 

Nach dem Krieg lebte Junge, die als „jugendlicher Mitläufer“ problemlos entnazifiziert wurde, in München. Sie blieb mit ihrer Geschichte allein. Nur die Autorin Melissa Müller wurde auf sie aufmerksam, und veröffentlichte unter dem Titel Bis zur letzten Stunde ein Buch mit den Erinnerungen aus dem „toten Winkel“ des Führerbunkers.

Durch Melissa Müller kamen André Heller und Othmar Schmiderer mit Junge in Verbindung. Sie führten im Frühjahr 2001 mehrere lange Gespräche mit ihr, und ließen eine Kamera mitlaufen. Aus den zehn Stunden Material entstand eine dreieinhalbstündige Arbeitsfassung, die Traudl Junge noch einmal vorgeführt wurde. Sie bekam dabei Gelegenheit, ihre Darstellung zu überprüfen und an einigen Stelle zu präzisieren – auch dieser Vorgang wurde gefilmt.

Die endgültige Fassung ist nun ein Dokumentarfilm, der sich ganz auf seine Protagonistin konzentriert. Im toten Winkel besteht fast durchweg aus Aufnahmen der halbnah gefilmten Traudl Junge, die direkt in die Kamera spricht. Es gibt keine kommentierenden Zwischenschnitte, keine Überprüfung der Aussagen anhand anderer Quellen, keine Korrektur von Flüchtigkeitsfehlern. Es gibt auch keine Fragen, sie sind – bis auf eine charakteristische Ausnahme – in der Montage ausgespart worden.

Im toten Winkel zeigt den langen Monolog einer Frau, die viele Jahre Zeit hatte, sich für diesen Bericht zu sammeln. Noch in der direkten Rede ist herauszuhören, dass sie diese Sätze im Geist viele Male vorformuliert hatte. Sie blickt mit ein wenig Befremden darauf zurück, dass sie in jungen Jahren „so unbedenklich gelebt“ hat, aber sie kann „diesem kindischen jungen Ding“, das sie 1942 war, nicht „bös’ sein“.

Drei Jahre arbeitete sie für Hitler, war in dieser Zeit immer in seiner Nähe, in der Wolfsschanze in Ostpreußen, auf dem Berghof in Süddeutschland, schließlich im belagerten Berlin.

Sie erlebte Hitler von seiner privaten Seite, auch wenn sie nun im Rückblick davor zurückscheut, seine menschlichen Züge „so deutlich darzustellen“.

Sie sah, wie Hitler aus dem Attentat vom 20. Juli 1944 bestärkt hervorging – er fühlte sich erst recht vom Schicksal geleitet. Mehrmals greift Junge auf die Metapher vom „Tanz auf dem Vulkan“ zurück, um zu beschreiben, wie unwirklich das Leben im Bunker gewesen sein muss.

Die Zyankalikapseln, die sie immer bei sich trug, hat sie nicht genommen. Sie hat den Untergang überlebt. Traudl Junge starb einen Tag nach der Uraufführung des Films. Kurz vor ihrem Tod soll sie noch gesagt haben: „Ich glaube, ich beginne mir jetzt zu verzeihen.“

Bert Rebhandl, Ständiger Mitarbeiter des Standard, lebt als freier Journalist in Berlin.