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Trauer um Politkowskaja: "Der Kreml hat die Meinungsfreiheit getötet".

Foto: AP
Moskau - Der Mord an der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja hat die Öffentlichkeit in Russland tief erschüttert. Die 48-jährige Reporterin, die sich mit Berichten über den Krieg in Tschetschenien weltweit einen Namen gemacht hatte, wurde am Samstag in ihrem Moskauer Wohnhaus von einem Unbekannten erschossen. Wegen der öffentlichen Resonanz des Falls zog am Sonntag Generalstaatsanwalt Juri Tschaika die Ermittlungen an sich.

Rund 500 Menschen demonstrierten am Sonntag in Moskau gegen die Ermordung und das Vorgehen der russischen Behörden gegen Georgier im Land. Die Kritik an der Ausweisung von mehr als 100 Georgiern und der Schließung von Geschäften und Restaurants im Besitz von Georgiern in Moskau war der eigentliche Anlass der Kundgebung auf dem Puschkin-Platz, doch rückte der mutmaßliche Auftragsmord an der Journalistin ins Zentrum des Interesses.

"Der Kreml hat die Meinungsfreiheit getötet"

Ein Demonstrant trug ein Foto der 48-Jährigen, unter dem geschrieben stand: "Politkowskajas Tötung und die Verfolgung einer ethnischen Minderheit sind Faschismus". Auf einem weiteren Plakat stand: "Der Kreml hat die Meinungsfreiheit getötet". Einige der Demonstranten hielten Kerzen. Politkowskaja war eine erklärte Gegnerin des Krieges in Tschetschenien und hatte schon in der Vergangenheit Morddrohungen erhalten. Ihre Leiche wurde am Samstag im Aufzug ihres Wohnhauses entdeckt.

Präsident Wladimir Putin äußerte sich zunächst nicht. Er beriet nach Mitteilung des Kremls am Sonntag mit den russischen Sicherheitsministern über die Lage im Land. Zuletzt hatte Mitte September der Mord an dem obersten russischen Bankenaufseher Andrej Koslow das Land erschüttert.

"Tschetschenische Spur"

Wie die Nachrichtenagentur Interfax meldete, verfolgten die Ermittler im Fall Politkowskaja unter anderem eine "tschetschenische Spur". Die Reporterin habe zahlreiche Artikel über Verbrechen tschetschenischer Politiker und Sicherheitskräfte geschrieben. Auch ein Racheakt von Angehörigen des russischen Sicherheitsapparates werde nicht ausgeschlossen. Die Recherchen Politkowskajas hätten zu mehreren Anklagen gegen Offiziere geführt, hieß es.

In der Zeitung "Nowaja Gaseta", für die Politkowskaja gearbeitet hatte, stellte die Polizei zu Ermittlungszwecken den Speicher ihres Computers und Material für einen geplanten Enthüllungsartikel sicher. "Sie hat in den letzten Tagen an einem Artikel über Folter in Tschetschenien geschrieben", sagte der stellvertretende Chefredakteur Witali Jaroschewski, dem Radiosender "Echo Moskwy". "Der Artikel sollte am Montag erscheinen, der Text lag aber noch nicht vor."

Auftragsmord

Nach Darstellung der Polizei fiel Politkowskaja einem typischen Auftragsmord zum Opfer. Die Journalistin sei am Samstagnachmittag vom Einkaufen zurückgekehrt. "Sie parkte ihr Auto vor der Haustür, nahm einige Taschen und ging in den Hausflur, wo ihr Mörder auf sie wartete", sagte ein Ermittler. Am Tatort seien eine Pistole vom Typ Makarow und vier Geschosshülsen gefunden worden. Der mutmaßliche Mörder wurde von einer Kamera über der Haustür gefilmt, doch bis Sonntag fahndete die Polizei vergeblich nach dem Mann.

Vor dem Wohnhaus Politkowskajas legten trauernde Menschen Blumen nieder und zündeten Kerzen an. In Moskau und St. Petersburg gedachten am Sonntag mehrere hundert Kollegen, Politiker und einfache Bürger der Ermordeten. "Das ist ein Stich ins Herz des russischen Journalismus", sagte der Sekretär des Journalistenverbandes, Igor Jakowenko. Der Oppositionsabgeordnete Wladimir Ryschkow sprach von einem "zu 100 Prozent politischen Mord".

Würdigung

Auch kremltreue Politiker würdigten die Reporterin trotz aller Gegnerschaft. Politkowskaja habe "ihre eigene Sicht auf die anti-terroristische Operation in Tschetschenien gehabt", sagte der tschetschenische Präsident Alu Alchanow. Doch sie habe sich "um das Schicksal des Landes, die Rechte der Bürger, jedes einzelnen Menschen gesorgt", fügte er hinzu.

In Russland sind seit 1992 mehrere prominente Journalisten ermordet worden. 1995 fiel der Direktor des Fernsehkanals ORT, Wladislaw Listjew, einem Auftragsmord zum Opfer. 2004 wurde der Amerikaner Paul Klebnikov in Moskau erschossen, Chefredakteur der russischen Ausgabe der Wirtschaftszeitschrift "Forbes". (APA)